Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
was Mille mit ihren Haaren gemacht hatte, aber die Schminke gefiel ihr gar nicht. Sie wollte keine andere werden, jedenfalls nicht, wenn sie dann rote Lippen und orangefarbene Wangen haben musste. Alma hatte genug daran zu tragen, dass sie Alma war. Sie wollte keine andere werden, wollte nur weniger unscharf sein. Sie wischte den Lippenstift weg und rieb sich das Gesicht, um den Sonnenpuder zu entfernen.
»Lass wenigstens die Augen so, wie ich sie dir geschminkt habe«, sagte Mille und betrachtete Alma im Spiegel.
Almas Augen waren noch dunkler als sonst mit einer dicken Schicht grauem Lidschatten. Sie sah aus wie ein Waschbär, fand Alma.
»Wisch nicht alles weg«, sagte Mille. »Smokey eyes heißt der Look. Das sieht gut aus. Damit wirkst du ein bisschen mystisch.«
»Ich weiß nicht«, sagte Alma und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. »Es ist zu viel Schatten, finde ich.«
»Nein, es sieht gut aus«, sagte Mille. »Du siehst viel älter aus.«
Als sie im Bad fertig waren, zündete Mille im Schlafzimmer eine Kerze an und legte eine CD auf, sie verwendete ihren Computer als CD -Player. Alma kannte das Lied.
»Die CD hat Papa auch«, sagte Alma. »Das ist Bob Dylan, stimmt’s? Papa hört ständig Bob Dylan. Ich hätte nicht gedacht, dass Jugendliche solche Musik hören.«
»Ach«, sagte Mille abwesend und lächelte. »Ich weiß nicht. Ich höre Dylan jedenfalls oft.«
Und dann fragte Mille, ob Alma tanzen wolle, und das wollte Alma, und so tanzten sie. Es war ein ruhiges Lied, darum tanzten sie ganz ruhig und ganz eng. Alma lehnte den Kopf an Mille, und Mille drückte sie fest an sich.
»Du siehst gut aus, Alma«, wiederholte Mille.
»Du auch«, flüsterte Alma.
E s waren noch ein paar Stunden bis zur Feier, und alle Blumen, die gepflückt werden sollten, waren gepflückt. Mille war in das rote Nebengebäude zurückgekehrt, als Alma an die Tür klopfte. Es war Nachmittag, und der Nebel drohte ganz Mailund und alle, die dort wohnten, einzuhüllen. Mille öffnete die Tür, und Alma sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Was machst du?«, fragte Alma.
»Ich bete«, sagte Mille.
»Was?«, sagte Alma und errötete. »Zu Gott, oder was?«
Mille war ernst. Sie kicherte nicht wie sonst. Sie trug ein weißes Kleid. Der blassrosa Träger ihres Spitzen- BH s schaute heraus.
Braune Schultern.
Lange offene Haare.
Und etwas Dunkles, Funkelndes, Neues, das sagte: Sieh es dir an, spiel damit, genieße es.
Wenige Tage zuvor hatten Mille und Alma und Liv im Garten im Gras gelegen und sich gesonnt. Es war einer der wenigen heißen Sonnentage in diesem Sommer gewesen. Liv hatte nicht gerade still dagelegen, aber sie war weniger quirlig gewesen als sonst, weil sie mit Milles Handy spielen durfte.
»Vergiss nicht, Liv mit Sonnencreme einzureiben, damit sie keinen Sonnenbrand bekommt«, sagte Siri auf dem Weg zur Arbeit.
Sie redete im Gehen. »Im Kühlschrank steht ein Salat, den könnt ihr zusammen essen.«
Und dann: »Und bitte nicht zu viele Süßigkeiten. Das verträgt Liv nicht. Du auch nicht, Alma.«
Und dann: »Und pass gut auf Liv auf, Mille. Lass sie nicht aus den Augen.«
Und dann: »Haltet euch vom Waldsee fern, es ist strengstens verboten, in die Nähe des Waldsees zu gehen.«
»In Ordnung«, sagte Mille und rührte sich träge im Gras.
Es war ein heißer Tag, und Mille hatte sich für den schwarzgepunkteten Bikini entschieden, den die kleine Liv so gern mochte. Mille hatte drei Bikinis, einen roten, einen blauen und einen mit schwarzen Punkten, und Liv mochte den mit den schwarzen Punkten am liebsten. So einen Bikini wünsche ich mir auch. Kann ich auch so einen Bikini wie Mille haben?
»Kannst du eine richtige Antwort geben, Mille«, sagte Siri scharf. »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Mille wollte gerade antworten, da richtete Alma sich auf.
»Mama!«, sagte sie laut. Ihre Stimme durchschnitt die Hitze. Es war einer dieser Tage, würde sie vielleicht sagen, wenn sie ihn beschreiben sollte, an dem alles weiß und zäh und heiß und still war, an dem alles etwas langsamer ging als sonst.
Siri sah ihre Tochter fragend an. »Was ist, Alma?«
Es kam ihr vor, als stünde ihre Mutter weit weg. Was nicht der Fall war. Sie stand am Gartentor. Sie waren nicht einmal durch zehn Schritte getrennt. Aber etwas war mit der Entfernung zwischen ihnen passiert. Wie in einem Traum. Siris Ermahnungen. Mille, die sich träge im Gras umdrehte. Der Bikini mit den schwarzen Punkten. Liv, die mit
Weitere Kostenlose Bücher