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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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auf und sang mit lauter, klarer Stimme, als wäre sie immer noch ein kleines Mädchen:
    Geborgener kann niemand sein
    Als Gottes kleine Kinderschar
    Am Himmel nicht die Sternelein
    Im Neste nicht der kleine Star.
    »Wie heißt dein Vater?«, fragte Alma.
    »Mikkel«, sagte Mille. »Er heißt Mikkel.«
    »Kann ich ein Glas Wasser haben?«, fragte Alma.
    Mille warf Alma einen Blick zu.
    »Du kannst dir selbst eins holen«, sagte Mille. »Im Bad stehen Gläser.«
    »Kannst du mir nicht eins holen?«, fragte Alma. »Bitte.« Alma zog die Beine an und machte es sich im Bett gemütlich. »Ich sitze so bequem in deinem Bett, und außerdem kann ich dir ein andermal Wasser holen, wenn du Durst hast.«
    Alma lachte.
    »Das schwöre ich bei Gott«, sagte sie.
    Mille lachte nicht, lächelte nicht einmal, sondern stand auf und ging ins Bad. Alma hörte, wie der Wasserhahn aufgedreht wurde.
    Versteckt in ihrer Hand hatte Alma eine lange, dicke, braune Nacktschnecke. Eine Spanische Wegschnecke. Eine Mörderschnecke. Sie klebte an ihrer Handfläche. Sie war kalt und klebrig und etwas feucht.
    In Mailund wimmelte es in diesem Sommer von Spanischen Wegschnecken, sie zerstörten Siris Beete, und Siri tötete sie mit Salz und Bier. Sie hatten viele Namen, aber kein Haus. Sie waren nackt und eingeweideartig und eklig, und der Landwirtschaftsminister hatte ihnen den Krieg erklärt. Das hatte ihr Vater erzählt. Einen ganzen Tag hatte Jon über den Krieg gegen die Schnecken gesprochen, den der Landwirtschaftsminister irgendwann im Frühjahr ausgerufen hatte. Darum wusste Alma, wie der Landwirtschaftsminister hieß, nur dass jetzt ein anderer Landwirtschaftsminister war. Der frühere Landwirtschaftsminister war Ölminister geworden und interessierte sich sicher nicht mehr für den Krieg gegen die Schnecken.
    Alma löste die Schnecke von der Hand und legte sie unter Milles Decke. An ihren Fingern klebte noch Schneckensekret, und sie wischte die Hand am Laken ab. Da! Die Schnecke zog sich zusammen und blieb regungslos liegen. Alma zupfte die Decke zurecht und setzte sich auf die Bettkante.
    Wenn Mille heute Nacht nach Hause kam, würde sie sich auf die Schnecke legen. Vielleicht würden sie beide losschreien, wobei die Schnecke ja eher stumm war, die würde also niemand hören.
    Mille kam mit einem Glas Wasser in der Hand aus dem Bad.
    »Hier«, sagte sie zu Alma.
    Ihre Stimme war hart.
    »Trink das hier, dann will ich, dass du gehst.«
    Alma nahm das Glas entgegen und sah Mille an. Sie hatte sich geschminkt und ihre langen Haare glänzend gebürstet.
    Mille sagte: »Zuerst gehe ich rüber und helfe deiner Mutter, dann ziehe ich weiter. Ich gehe noch aus. Aber jetzt muss ich mich fertig machen. Ich habe keine Zeit mehr, mich um dich zu kümmern. Du musst dich woandershin verziehen.«
    Sie machte eine ungeduldige Handbewegung, und ihre Armbänder klimperten.
    »In Ordnung«, sagte Alma. Sie trank das Wasser aus. »Ich gehe.«

S iri wollte für ihre Mutter ein großes Fest geben. Jenny sagte nein, aber auf dem Ohr war Siri taub, ausgeschlossen. Ein halbes Hundert Gäste, spanische Spanferkel, Biertische im Garten, Lampions in den Bäumen, sie nahm ein Nein nicht für ein Nein, die Ferkel konnte sie in dem großen Brotofen in der Restaurantküche braten.
    »Wir brauchen fünf Ferkel«, sagte Siri, zückte das Handy und rief ihren Lieferanten in Oslo an. »Und dann mache ich Bratäpfel, Knollengemüse und Kartoffeln. Mehr wird es nicht geben. Alles soll einfach und ordentlich sein.«
    »Der Eingangsbereich muss gestrichen werden«, sagte sie. »Alle müssen mit anpacken. Die Vorhänge müssen abgenommen und gewaschen werden. Wir müssen die Böden schrubben. Schmierseife! Dieses Haus«, sagte sie und zeigte rundherum. »Wir müssen das Haus renovieren. Und den Garten. Ein Gartenfest!«
    Mit glühenden Augen wandte sie sich an Jon.
    »Es soll ein Fest werden, das alle in Erinnerung behalten«, sagte sie. »Und Jenny soll sich freuen. Sie weiß es noch nicht, ich habe ihr nichts erzählt, aber sie wird sich freuen. Sie liebt die Aufmerksamkeit.«
    »Jenny will am liebsten in Ruhe gelassen werden«, sagte Jon zögerlich. »Sie hat davon gesprochen, mit Irma einen langen Spaziergang zu machen. Und am Abend vielleicht eine Spritztour mit Alma.«
    Jenny und Alma hatten sich bereits gefunden, als Alma fünf war und den Sommer damit verbrachte, mit gesenktem Kopf, eine Sorgenfalte in der Stirn und die Hände auf dem Rücken, langsam durch das große

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