Das verschwundene Kind
starrte vor sich hin. Schließlich fragte sie leise: »Konntet ihr den Mörder schon finden?«
Er zögerte einen Moment mit der Antwort, da er sich die Worte zurechtlegen musste. »Wir haben eine heiße Spur, aber leider kaum Beweise. Es geht darum, die Person zu überführen. Freiwillig gibt das keiner gern zu.«
Maren nickte. »Verstehe. Wie kommen eigentlich die Frauen deiner Kollegen mit den schrecklichen Geschichten zurecht, die ihre Männer ihnen täglich mit nach Hause bringen?«
»Meistens erfahren sie die gar nicht. Eigentlich hätte ich dir das auch nicht erzählen dürfen.«
»Ich will aber, dass du mit mir darüber sprichst. Ehrenwort! Ich behalte alles für mich. Du kannst das doch nicht allein mit dir herumtragen!«
»Das machen die meisten. Es gehört mit dazu.«
»Und dann sitzt die Frau abends ihrem Eisberg von Mann gegenüber und weiß nicht, was in ihm vorgeht.«
»Viele halten das auf Dauer nicht aus. Ich vermute mal, Polizisten haben eine hohe Scheidungsquote.«
»Du machst jetzt gerade nicht besonders Werbung für einen wie dich als Partner.«
Er sah sie eindringlich an. »Ich will nicht, dass du dir Illusionen machst. Mit einem Polizisten zusammen zu sein, ist einfach schwierig. Dann die Dienstzeiten. Die Ressentiments im Bekanntenkreis. Taucht man auf einer Party auf, denken alle darüber nach, ob ihr Auto im Halteverbot steht und ob man das Gras riecht, das sie gerade rauchen.«
Maren zwickte ihn in die Seite. Er wich aus. »Na ja, Letzteres haben wir ja schon geklärt. Wenn ich mit dir irgendwohin gehe, sage ich einfach, dass ich bei der Post bin.«
Maren lächelte. »Mach dich nicht so schlecht! Du bist ein wunderbarer Freund und ein zärtlicher Liebhaber!« Sie legte die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich heran. Er leistete sanften Widerstand.
»Außerdem sind Polizisten schreckliche Besserwisser!«
Maren lachte. »Das passt ja bestens, Lehrer nämlich auch!« Sie beugte sich vor und küsste ihn. Nach einiger Zeit löste er sich aus ihrer Umarmung. Sie musterte besorgt sein nachdenkliches Gesicht.
»Dieses Seidentuch«, begann er. »Wäre es viel Arbeit, das noch einmal neu zu machen?«
Maren atmete erleichtert auf. Endlich hatte er das Thema gewechselt. »Drei Stunden etwa«, schätzte sie.
»Es wäre wichtig, dass es eine originalgetreue Nachbildung wird. Ginge das?«
»Kein Problem, ich habe die alte Vorlage noch. Willst du mich unbedingt damit sehen?«
»Wenn du auf die zusätzliche Jeanskleidung dabei verzichtest, gerne.«
Sie lachte und versetzte ihm einen leichten Tritt. Er umfasste ihr Bein mit zartem Griff und schob es zurück. »Wichtig wäre allerdings, dass du es vorher erst einmal mir ausleihst.«
Sie sah ihn an, als habe er sich gerade in einen Frosch verwandelt. »Gibt es eine dunkle Seite an dir, die du mir noch nicht offenbart hast?«
»Einige. Diese hier ist eher harmlos: Ich brauche das Tuch, weil es mir bei der Aufklärung des Falles helfen könnte.«
»Ihr sucht den Halstuchmörder, aber das Tuch ist euch abhandengekommen?«
»So ungefähr«, antwortete er. Seine Hand schob sich unter ihrem Bademantel das Bein hinauf. Sie sank tiefer in das Kissen. Mit halb geschlossenen Lidern murmelte sie: »Gut, wenn es der Wahrheitsfindung dient, werde ich es morgen Nachmittag herstellen. Übermorgen kannst du es dann haben.«
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Mittwoch, der 7. November
A m Morgen saß Tobias Hölzinger an Hecks Schreibtisch und rührte lautstark in seinem Kaffeebecher. Stephan saß ihm gegenüber. Heck hatte sich für heute und morgen krankgemeldet. Hexenschuss.
»Das kommt von der Gewaltaktion gestern. Seine alten Knochen halten das nicht mehr aus«, erklärte Hölzinger mit dem Selbstbewusstsein der Jugend, legte den nassen Löffel auf die Schreibunterlage und trank zügig an seinem Kaffee.
»Sei vorsichtig, Grünholz«, neckte Lars ihn, »du kommst auch noch in das Alter, und dann kannst du froh sein, wenn du noch so fit bist wie er! Und im Übrigen wollte ich noch sagen: Dass ihr gestern so spontan eingelaufen seid und mit angepackt habt, war wirklich stark von euch. Ihr seid echte Teamplayer. Maren und ich werden euch demnächst einmal zum Essen einladen.«
Hölzinger nahm einen tiefen Schluck aus seinem Kaffeebecher. »Danke! Aber ehrlich gesagt, war es vor allem der Alte, der uns gestern Beine gemacht hat. Er hat uns damit gelockt, dass er meinte, es sei eine gute Methode, vielleicht noch etwas zu finden, was wir übersehen haben. Aber dem war ja
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