Das verschwundene Kind
knallharten Tatsachen.«
Stephan zauberte ein mildes Lächeln in sein Gesicht. Daraufhin entspannte sich auch die Miene der Schröder.
»Was ich dabei gefühlt habe? Ja, also auf jeden Fall hatte ich Angst davor, dass dort der Mörder ist und dass er mich entdecken und angreifen könnte. Jemand anders als der Mörder würde doch nicht so seelenruhig seine Sachen aus dem Bad räumen, während Hatice tot nebenan liegt. Deshalb ist für mich der Vater des Kindes auch der Mörder. Ich glaube auch, dass er das Kind bei mir gestohlen und es umgebracht hat. Ich hoffe, er weiß, dass ich seinen Namen nicht kenne, sonst wäre ich auch in Gefahr. Das Einzige, was mich beruhigt, ist die Tatsache, dass er das ja gleich hätte tun können, und da das nicht geschah, hält er mich wohl nicht für gefährlich für sich.«
»Das hat eine gewisse Logik«, bestätigte Stephan. »Bewahren Sie denn immer noch Ihren Wohnungsschlüssel in der Vase vor der Tür auf?«
Die Schröder nahm ein paar hastige Züge und schüttelte dabei den Kopf. »Ich habe das Schloss ausgetauscht. Der Ersatzschlüssel ist jetzt bei Maren.«
Na prima, dachte Stephan, hoffentlich hat Maren dann nicht im Gegenzug der Schröder ihren Schlüssel ausgehändigt. Zuzutrauen wäre ihr das. Er fragte die Schröder nicht danach, um keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen. Ihre Gesichtszüge wirkten längst nicht mehr so ablehnend wie zu Beginn des Gesprächs.
»Noch eine ganz andere Frage«, begann Stephan. Die Schröder sah ihn aufmerksam an. »Maren vermisst ein bemaltes Seidentuch mit einem Goldmuster. Erst dachte ich, dass Sie es vielleicht mitgenommen hatten, aber wir haben es in Ihrer Wohnung nicht gefunden.«
Sofort verhärteten sich die Mundwinkel der Schröder wieder. »Wollen Sie mich jetzt wegen Diebstahls drankriegen?«
»Unsinn«, wiegelte er mit samtweicher Stimme ab. »Es hat etwas mit einer wichtigen Spur in diesem Mordfall zu tun. Wenn Sie mir sagen könnten, was mit dem Tuch passiert ist, würden Sie sehr wahrscheinlich in hohem Maße dazu beitragen, dass wir Hatices Mörder überführen können.«
Die Schröder nestelte eine weitere Zigarette aus der zusammengedrückten Packung, die sie aus ihrer Hosentasche hervorzog, und zündete sie sich an. Stephan wartete geduldig. Sie schaute den Rauchschwaden hinterher.
»Es war ein einmalig schönes Tuch. Hortensien in verschiedenen Blautönen auf blassgelbem Untergrund. Die Laubblätter in zartem Grün. Die Umrisse waren in Gold gefasst. Ich wusste, dass es Hatice gefallen würde. Daher nahm ich es für sie mit. Für Maren ist das kein Verlust, sie kann sich noch Hunderte solcher Tücher neu malen. Aber für Hatice war es ein ganz besonderes Geschenk. Sie hat es oft getragen.«
In Gedanken entgegnete Stephan: Was fällt Ihnen ein, sich dermaßen über jemand anderen hinwegzusetzen? Sie entscheiden doch nicht, was Maren will und kann! Doch laut sagte er freundlich: »Sicher hat es sehr gut zu Hatices besonderer Goldkette gepasst.«
Die Schröder nickte bestätigend, ein versonnenes Lächeln auf ihrem Gesicht. »Ja, eine besondere Kette war das wirklich! Fatimas Hand. Das ist eine Art Talisman, der vor dem Bösen schützen soll.«
»Woher wissen Sie das?«, hakte Stephan nach.
»Hatice hat es mir erzählt. Immer wenn ich mir Sorgen um sie machte, griff sie an ihre Kette und sagte: ›Mir wird schon nichts passieren, ich bin geschützt.‹ Ich hatte stets ein ungutes Gefühl dabei. Gerade während der letzten drei Wochen. Da erschien sie so – gehetzt.«
»Wie haben Sie sich das erklärt?«
»Ich sagte Ihnen ja bereits, dass sie mir nichts erzählte. Dennoch, es waren zwei widersprüchliche Stimmungen, die sie zeigte. Einerseits wirkte sie voller Hoffnung und beinahe glücklich. Daher glaubte ich ja auch, dass sie sich wieder mit dem Vater versöhnt hatte. Andererseits wirkte sie voller Panik. Sie rief mich manchmal an und sagte, bitte, du musst sofort kommen und das Baby in Sicherheit bringen.«
»In Sicherheit bringen? So hat sie das gesagt?«
»Ja, genau so. Ich hatte sofort daran gedacht, dass ihre Brüder ihr das Kind wegnehmen wollen oder sie zumindest nicht mit dem Kind erwischen dürfen.«
»Können Sie sich jemand anderen außer den Brüdern vorstellen, der ihr das Kind nehmen wollte?«
Die Schröder saugte nachdenklich an ihrer Zigarette. »Nein. Wer denn?«
Stephan zuckte mit den Schultern. »Hat Hatice mal mit Ihnen darüber gesprochen, warum sie das Kind nicht abtreiben
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