Das verschwundene Kind
wahrscheinlich noch einmal raufkommen?«
»Ist in Ordnung«, sagte sie. »Und die anderen?«
»Sind gerade gegangen.«
»Und Andrea?«
»Ist rauf, um sich darüber zu wundern, wie groß ihre Wohnung eigentlich ist.«
»Hat sie das zu dir gesagt?«
»Nein, zu mir hat sie gesagt, ich soll dir ausrichten, dass sie gleich morgen zu den Anonymen Alkoholikern gehen will.«
»Oh, das freut mich«, hauchte Maren.
»Na ja, wie man’s nimmt«, kommentierte Lars.
»Was soll das heißen?«
»Es soll heißen: Am Anfang versprechen sie dir das Blaue vom Himmel, aber dann werden sie wieder rückfällig. So jedenfalls ist meine Erfahrung mit der Firma Junkies und Co.«
Maren setzte sich abrupt auf und griff sich dann mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Stirn. »Jetzt bist du schon wieder so negativ! Kannst du nicht ein Mal daran denken, dass Andrea das auch schaffen könnte? Vielleicht braucht sie auch einfach einen anderen Menschen, der mit ihr an den Erfolg glaubt?«
Lars hatte sich neben Maren auf die Kante der Couch gesetzt und drückte sie sanft in die Kissen. Er nahm ihre Hand und küsste sie auf die Stirn. Sie wischte mit dem Handrücken darüber. »Du verstehst mich nicht. Du glaubst, ich bin eine schrullige Jungfer mit Helfersyndrom.«
Er strich ihr das Haar zurück und grinste. »Na ja, Jungfer passt auf jeden Fall nicht.«
Sie schlug scherzhaft seine Hand zurück und lächelte. »Denkst du, ich hätte ein Helfersyndrom?«
»Eigentlich finde ich es großartig, dass du so unvoreingenommen zupackst und hilfst. Aber ich habe auch gesehen, wie sehr du dich überanstrengt hast dabei, während die Schröder seelenruhig hier oben stand und rauchte. Das hat mich geärgert.«
»Sie konnte nicht helfen, sie hat eine Bauch…«
»…speicheldrüsenentzündung. Ich weiß«, ergänzte er gedehnt.
Maren seufzte. »Danke jedenfalls, dass du deine Leute geholt hast, und sag ihnen noch einmal vielen, vielen Dank, dass sie das für Andrea getan haben.«
»Sie haben es nicht für die Schröder getan. Sie haben es für mich getan. Und ich habe es auch nicht für die Schröder getan, sondern für dich«, sagte er trotzig. »Willst du noch Tee?«
Sie nickte. Er goss nach. Plötzlich lachte sie auf.
»Soll ich dir erzählen, wie damals die leere Dose mit dem Katzenfutter in das Bücherregal gekommen ist?«
Er lachte ebenfalls. »Schieß los!«
»Andrea war hier in der Wohnung und fütterte gerade den Kater. Da hörte sie den Schlüssel in der Tür. Ich war damals noch einmal zurückgekommen, weil mir unterwegs einfiel, dass ich Sybille versprochen hatte, den Whiskey für ihre Party mitzubringen. Andrea flüchtete schnell in Julias Zimmer. Dort wollte sie sich unter dem Bett verstecken. Die leere Futterdose hatte sie noch in den Händen und fürchtete, der Geruch könnte Garfield anlocken, der dann ihr Versteck verraten würde. Daher schob sie die Dose schnell hinter ein Buch in Julias Regal und vergaß später, das wieder in Ordnung zu bringen. Sie lag öfter unter Julias Bett, wenn wir in der Wohnung waren. Verrückt, nicht wahr?«
»Hausfriedensbruch«, antwortete er.
Maren kicherte. »Ich hätte auch noch eine kleine Aufklärung beizutragen«, fuhr er fort, und Maren sah ihn erwartungsvoll an. »Kannst du dich noch an das Halstuch erinnern, das dir weggekommen ist?«
»Du meinst das blau-goldene mit den Hortensien?«
»Genau das.«
»Die Schröder hat es dir geklaut.«
»Das dachte ich mir schon. Es war ein schönes Tuch. Es hat Jeanskleidung edel aufgewertet. Schade, es ist vermutlich weggekommen, als die Polizei ihre Wohnung durchsuchte. War das eigentlich nötig? Das Kind war doch da nicht zu finden.«
»Hat sie dir nicht erzählt, warum die Polizei ihre Wohnung durchsuchte.«
»Nein.«
»Dann werde ich es dir jetzt sagen, denn irgendwann wird sie das sowieso tun. Dennoch bitte ich dich, das für dich zu behalten.« Maren nickte. Er berichtete ihr, was mit Hatice Ciftci geschehen war.
»Das ist ja furchtbar«, flüsterte Maren. »Die arme Andrea. Was sie mitgemacht haben muss! Und diese junge Frau! Schrecklich! Wie ist das, so zu sterben? Ist das eine lange Qual?«
Lars ärgerte sich über seine Idee, Maren einzuweihen. Aber war es nicht besser, sie erfuhr es von ihm als von der Schröder? Besorgt sah er, dass ihr Gesicht schon wieder sehr blass war. »Nein, das dauert nicht lange. Geht ganz schnell, vermutlich hat sie das gar nicht richtig mitbekommen.«
Maren runzelte misstrauisch die Stirn und
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