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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Unterwerfung, das gottgleiche Gefühl der Macht über Leben und Tod. Täter möchte mit der Tat eine Art Rechnung begleichen, jemanden strafen oder sich selbst etwas beweisen. Täter ist meist selbst als Opfer traumatisiert, lebt aber relativ unauffällig, oft völlig integriert in soziale Netze. Rituelle Handlungen wie in Film und Literatur sind eher selten. Trotzdem:
    Jede Tat zeigt die »Handschrift« des Täters!
    Täterwissen isolieren!
,
hatte er sich dick markiert.
    Wo lag in diesen beiden Fällen das Täterwissen? Zunächst einmal bei der Auswahl des Opfers. Wie hatte er sie getroffen? Wo hatten sich die Wege von Täter und Opfer gekreuzt? Es gab so viele Möglichkeiten: bei der Freizeitgestaltung, irgendwo in einem Schwimmbad oder auf einem Sportplatz, in bestimmten Lokalen, im Internet und, und, und. Entwirren konnte man das nur, wenn man sich akribisch damit beschäftigte, welche Hobbys und Gewohnheiten die Opfer hatten. Man musste jede Minute ihres Alltags rekonstruieren!
    Das Kind!, fiel es Stephan plötzlich ein. Gab es im Umfeld des Frankfurter Opfers auch ein Kind, oder war das Kind für den Täter in Offenbach ein störendes Anhängsel gewesen, das er kaltblütig entsorgt hatte? Vor seinem geistigen Auge sah Stephan, wie eine grobe Hand einen Säugling in einen Pappkarton steckte, mehrfach mit Klebeband umwickelte und dann in einem großen Müllcontainer unter dem Müll vergrub. Ihn schauderte. Gleichzeitig wurde eine Erinnerung wach. Letztes Jahr hatte an seiner alten Dienststelle eine Geschichte die Runde gemacht und für allerhand Entrüstung gesorgt. In verschiedenen Stadtteilen hatten Anwohner in Müllcontainern in ebendieser Weise entsorgte Hundewelpen entdeckt. Die meisten waren erstickt, einer wurde rechtzeitig entdeckt und gerettet. Als Motiv für die Tat nahm man an, dass illegale Hundehändler auf diese Weise ihren Überschuss entsorgt hatten.
    Der Polizeipsychologe erläuterte jedoch noch eine andere Theorie. Sein Argument war, dass es eigentlich unvorstellbar sei, dass illegale Hundehändler sich diese Mühe mit der Verpackung und der Deponierung der Tiere in verschiedenen Containern verschiedener Stadtteile gemacht hätten. Er war daher eher der Meinung gewesen, dass es sich um einen Täter handelte, der seine Taten sorgfältig vorbereitete und seine Machtphantasien dadurch auslebte, dass er »Gottesurteile« herbeiführte. Vermutlich habe er sich sogar irgendwo in der Nähe aufgehalten und die Entwicklung beobachtet. Die Art der Tatausführung sei neu gewesen, aber ähnlich hätten schon Täter gehandelt, die ihre Opfer irgendwo im Wald an einen Baum banden, dann von ferne ihr Siechtum beobachteten und ihre Tat vor sich damit rechtfertigten, dass sie dem Opfer eine faire Chance eingeräumt hätten. Durch ihre Art der Tatausführung vergrößerten sie ihren Kick und ihre Allmachtsphantasien noch, weil sie sich nun zusätzlich als Teil der Macht des Schicksals sahen.
    Stephan schluckte. Er kämpfte gegen die Übelkeit, die in ihm aufstieg. Er hatte viel Phantasie, das war in seinem Beruf ein Segen und ein Fluch zugleich. Wie oft schon war es ihm kraft dieser Fähigkeit gelungen, sich auch in die abwegigsten Denkwege von Tätern einzuloggen. Auch jetzt sah er Verbindungen, die er nicht außer Acht lassen wollte. Was, wenn es dem Wiesbadener Täter nicht mehr genug Nervenkitzel bedeutete, das langsam schwächer werdende Gewinsel des Welpen im Container zu belauschen, was, wenn das der erste Fall war, in dem er sich ein Kind genommen hatte? Stephan schrieb auf.
Serientäter? Kind als Motiv? Brunni fragen, ob es bei Frankfurter Opfer irgendwo ein Kind gibt.
Stephans Blick fiel erneut auf den hervorgehobenen Begriff Täterwissen
.
Was wusste nur der Täter im Offenbacher Fall? Er ließ alle Informationen und Eindrücke der letzten Tage noch einmal Revue passieren und notierte:
    Grund für das Verschwinden des Kindes? Hat Täter es mitgenommen, oder war es zur Tatzeit nicht in der Wohnung?
    Bauchlage des Opfers beim Auffinden, Rückenlage nach der Tat?
    Wer hat es umgedreht? Rückkehr des Täters zum Tatort?
    Spontane oder langfristig geplante Tat?
    Grund für Täter/Opfer Kontakt?
    Motive: Geld? Abweichendes Sexualverhalten? Das Kind? Ehrenmord?
    Aussehen des Tatwerkzeugs: Tuch, Kordel? Woher die Goldfarbe?
    Aussehen der zerrissenen Halskette.
    Wo und wie wurden Tatwaffe und Schmuck entsorgt?
    Woher kam das Tatwerkzeug? Aus Besitz des Opfers? Oder vom Täter mitgebracht?
    Stephan atmete

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