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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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tief durch und lehnte sich in seinem knarrenden Schreibtischstuhl zurück.
    Das waren schon eine Menge Ermittlungsansätze! Er nickte zufrieden und las noch einmal die Telefonnotiz, die er sich beim Gespräch mit Brunni angefertigt hatte. Dick unterstrichen stand auf dem Blatt:
Wollte alte Möbel verkaufen. Täter als Kunde in die Wohnung?
Auch das war ein Hinweis, dem er nachgehen musste. Er erinnerte sich an einen großen, antiken Schrank im Wohnzimmer von Özlem Onurhan.
Wollte sie den Schrank verkaufen? Wo annonciert? Zeitung? E-Bay?,
schrieb er auf und schnalzte zufrieden. Er plazierte den Aktendeckel zuoberst, ließ die Schreibtischschublade mit einem sanften Schubs zurückgleiten und begutachtete seinen leeren, »abgearbeiteten« Schreibtisch. Dann erhob er sich, um zu gehen.
    Als er die Klinke umfasste, wurde die Tür mit Schwung von außen aufgezogen. Einen Sekundenbruchteil hielt er sie fest und ließ dann schlagartig los. Die Tür schwang auf und brachte mit einem deutlichen Plumps Ernestine Hoff auf dem glatten Flur zu Fall. Trotz ihrer Körperfülle war sie erstaunlich schnell wieder auf den Beinen. Mit hochrotem Gesicht richtete sie sich dicht vor ihm auf.
    »Spinnst du, Kollege?«, fauchte sie und rieb sich mit einer Hand den Steiß.
    Etwas in ihm warnte ihn davor, es sich mit der Hoff zu verscherzen, wenn er ein entspanntes Verhältnis zu Heck haben wollte. Ein Blick in ihr vor Wut verzerrtes Gesicht verriet ihm allerdings, dass er gerade erfolgreich an seinem Minuskonto arbeitete. Um das wieder auszugleichen, setzte er seinen Frauenversteherblick auf, verbeugte sich ein wenig und bat in aller Form und in liebenswürdigstem Ton um Verzeihung. Er sei gerade fertig mit seinen umfangreichen Aufträgen geworden und wollte heute ausnahmsweise mal ein bisschen früher gehen. Die Tür sei ja leider nicht durchsichtig. Er gebe natürlich zu, ein bisschen heftig reagiert zu haben, und hoffentlich tue es ihr bald nicht mehr weh, aber das sei Polizisteninstinkt, immer bereit, sich gegen jede Gefahr zu wehren, deshalb hätte er die Klinke erst einmal festgehalten. Den letzten Satz hatte er als kleinen Scherz verpackt. Dann schwieg er, denn er hatte registriert, dass keines seiner gezogenen Register irgendetwas bei der Hoff bewirkte. Sie hatte seinem Theater mit eisiger Reglosigkeit zugehört.
    »Lass es gut sein, Kollege«, sagte die dann, und das Wort »Kollege« spuckte sie aus wie einen ausgelutschten Kaugummi. »Ich bin hier, weil ich von dir noch deine Jacke haben will, bevor du gehst und das Ding noch einen weiteren Tag kontaminierst. Du hättest das längst erledigen müssen!«
    Er starrte die Hoff verständnislos an, als habe sie ihm gerade ein chinesisches Gedicht in Landessprache aufgesagt. Dann dämmerte ihm, worauf sie hinauswollte. Sie erinnerte ihn gerade an seinen größten Anfängerfehler, den er sich in Offenbach geleistet hatte. Das erklärte ihm auch den Ton von übermächtiger Überlegenheit, der in ihrer Stimme mitschwang.
    In ihren Augen war er offensichtlich die größte Null des Jahrhunderts, wie überhaupt Männer bei ihr nicht hoch im Kurs standen. Alle Männer. Außer einem. Den schien sie zu vergöttern. Heck, ihr Leitwolf. Hoff, die Leitwölfin. Der Rest war winselndes Rudel, das weggebissen werden musste. In dem Augenblick fletschte sie wirklich die Zähne, als sie ihn mit kaltem Blick durchbohrte, ihm die Hand entgegenstreckte und forderte: »Los! Ausziehen!«
    Dabei lief es ihm eiskalt über den Rücken. Mit unbeholfenen Bewegungen schälte er sich in dem engen Büro aus seiner Jacke. Er versuchte, die Arme so dicht wie möglich am Körper zu halten, damit er nicht Gefahr lief, gegen Ernestine Hoff zu stoßen. Sie schaute ihm mit gelassener Miene zu und konnte ein kleines, höhnisches Zucken um die Mundwinkel nicht unterdrücken.
    Lars Stephan schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sich ein Jugendlicher, der auf dem S-Bahnhof von Jackenrippern gestellt wurde, genauso vorkommen musste wie er jetzt. Es war erniedrigend. Es war würdelos. Genau das wollten diese Täter. Um die Jacken ging es denen gar nicht, sondern nur um das berauschende Machtgefühl. Dies war einer der Gründe, warum er Polizist geworden war, um sich diese feigen Typen vorzuknöpfen und ihnen zu zeigen, was für arme Würstchen sie waren.
    Diese Gedanken hatten Lars Stephan wieder aufgerichtet. Er stand nun vor der Leitwölfin, hielt ihr die Jacke hin und sah ihr direkt in die Augen. Mit fester und betont ruhiger

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