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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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das, was er immer tat, wenn er sich erste Eindrücke eines Tatortes verschaffen wollte. Er stand still und schloss die Augen, um Geräusche und Gerüche auf sich wirken zu lassen. Es roch etwas muffig in der Wohnung, ein wenig nach Desinfektionsmitteln. Aber da war noch ein anderes, leicht moderiges Aroma, das ihm bekannt vorkam, das er aber zunächst nicht einzuordnen wusste. In der Küche schien der Wasserhahn zu tropfen, sonst gab es nur Außengeräusche: Schritte in der Wohnung oben, das Zuschlagen einer Tür. Schließlich ein Dröhnen, das in der Küche Gläser zum Klirren brachte. Die Einflugschneise, dachte er und erinnerte sich daran, wie heftig die Offenbacher gegen den weiteren Ausbau des Rhein-Main-Flughafens protestierten. Er öffnete wieder die Augen. Gleich links neben der Eingangstür befand sich eine Türsprechanlage. Lars Stephans Blicke wanderten weiter an der linken Wand entlang. Dort führte die Tür zu dem Zimmer, in dem er die Babyutensilien gefunden hatte. Der Treteimer war verschwunden. Der Kleiderschrank in diesem Zimmer enthielt wenig Alltagskleidung. Die meisten Fächer und Bügel waren leer. Babykleidung gab es überhaupt nicht. Er ging zurück in den Flur. Neben der Zimmertür an der Wand gab es einen großen, goldgerahmten Spiegel, der in eine Garderobe eingebaut war. Dort hingen ein brauner Leder- und ein schwarzer Wollmantel. Ein kleiner Schuhschrank beherbergte drei Paar modischer Damenschuhe in Größe achtunddreißig. Neben dem Schuhschrank stand ein Paar Lederstiefel mit hohen spitzen Absätzen, Größe vierzig. Auf der Ablage über den Mänteln stapelten sich fünfzehn sorgfältig zusammengefaltete Tücher in unterschiedlichen Farben und Stoffen. Er dachte mit einem Lächeln an Marens Flur, den er gestern betreten hatte. Soweit er sich erinnern konnte, hatten dort nur zwei Schals gehangen. Stephan wandte sich zu der geschlossenen Wohnungstür, neben der sich die Türsprechanlage befand. In Gedanken hörte er das Läuten der Klingel, sah, wie die dunkelhaarige Frau mit leichten Schritten den Flur durchquerte. Vielleicht mit einem Lächeln auf den Lippen, weil sie Besuch erwartete. Der Besuch hatte sich über die Sprechanlage gemeldet, sie hatte geöffnet. Der- oder diejenige hatte hier im Flur Jacke oder Mantel abgelegt, Schuhe ausgezogen und war ihr dann geradeaus in das Wohnzimmer gefolgt. Es ging gar nicht anders, der Mörder oder die Mörderin musste viele Faserspuren, vielleicht auch DNA -Spuren hinterlassen haben. Es war die Kunst der Spurensicherung, diese aus den anderen Spuren herauszufiltern. Eigentlich dürfte das nicht so schwierig sein, denn in der Wohnung einer alleinstehenden Person würde sich der Publikumsverkehr in Grenzen halten.
    Er ging weiter in Richtung Wohnzimmer und drückte im Vorübergehen sanft gegen die leicht angelehnte Küchentür auf der rechten Seite. Er registrierte eine aufgeräumte, kleine Einbauküche mit blitzenden Gerätschaften und einer teuren Espressomaschine. Leichter Kaffeegeruch hing in der Luft. Stephan runzelte nachdenklich die Stirn. Hielt sich dieser Geruch tagelang?
    Danach führte eine Tür in das Badezimmer, dem ein feuchter Geruch entströmte, als habe jemand dort gerade erst geduscht. Dieser Wahrnehmung würde er später noch genauer nachgehen. Schließlich nahm er sich das Wohnzimmer vor. Der Tatort. Der Teppich, auf dem die Tote gelegen hatte, war verschwunden. Auf dem Parkettboden sah man ein helles Rechteck. Der Boden glänzte blitzblank. Hier hatte sich jemand große Mühe gemacht, dass nichts mehr an die grausamen Ereignisse erinnerte. In der Zimmerluft war der Modergeruch, den er beim Betreten der Wohnung registriert hatte, intensiv wahrnehmbar. Er war vermischt mit einem scharfen Anteil, der ihn seit Kindheitstagen an das Bohnerwachs erinnerte, mit dem seine Oma ihre Treppe poliert hatte. Als Geruchsquelle machte Stephan schließlich den voluminösen, mit Intarsien und Schnitzereien verzierten Kleiderschrank aus, der inmitten der weißlackierten Regalwände als besonderes Einzelstück wirkte. Der Schrank war vermutlich keine Nachbildung, sondern tatsächlich antik. Was kostete so etwas? Entsprach ein solches Möbelstück dem Geschmack einer jungen Frau? An der Wand neben dem Schrank hing ein großer Flachbildschirm. Darunter gab es ein Regal aus silbergrauem Metall, das Radio, CD -Player und weitere elektronische Geräte in gleicher Farbe beherbergte. Es gab drei CD s. Keine sonstige Elektronik wie Computer, Handy oder

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