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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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und schaute eine Weile seitlich zum Fenster hinaus. Dann sagte er: »Keiner von uns war das. Mehr sag ich nicht dazu. Und wenn Sie mich für schuldig halten und nicht nur als Zeugen befragen wollen, wie Sie das vorhin erklärt haben, dann müssen Sie meine Eltern anrufen, und die haben das Recht, einen Anwalt mitzubringen.«
    »Na, da weiß aber einer richtig gut Bescheid«, sagte Hölzinger ironisch. »Wer hat dir das denn alles erklärt?«
    »Abdelhamid hat mir das erklärt, und er hat recht«, erwiderte Erkan kühl. Und Lars und Hölzinger zuckten zusammen, als hätten sie beide eine Ohrfeige bekommen.
     
    Sie schlenderten hinter den fröhlich quasselnden Schülern dem Ausgang des Schulhofes zu.
    »Hast du eigentlich auch den Eindruck, dass wir hier nach Strich und Faden veräppelt werden?«, fragte Stephan.
    »Klar«, bestätigte Hölzinger, »und von dem da besonders.« Er deutete auf Abdelhamid, der, die Fäuste tief in den Hosentaschen und mit wiegenden Schritten, in einer Gruppe von Jugendlichen ging, die ihn alle überragten.
    »Was ist das eigentlich für einer? Kannst du dir einen Reim auf den machen?«, fragte Lars.
    »Der? Ich denke, der ist das, was Heck immer so schön als ›echte Offenbacher Kanalratte‹ bezeichnet. Der kennt alles und jeden, hat seine neugierige Nase überall drin und einige Leute mit seinem Wissen fest im Griff. Im Grunde kein gefährliches Raubtier, eben nur ein anpassungsfähiges, kleines Nagetier.«
    Lars Stephan grinste. »Kanalratte. Das passt.«
    Hölzinger fuhr fort: »Heck sagt auch, du hast gewonnen, wenn du dir die gängigen Offenbacher Kanalratten anfütterst. Dann weißt du immer mehr als die anderen.«
    »Interessante Strategie«, sinnierte Stephan.
    Später auf dem Weg ins Präsidium, als er die Ereignisse des Nachmittags noch einmal Revue passieren ließ, huschte plötzlich für den Bruchteil einer Sekunde ein Gedankenblitz durch Stephans Kopf, zu schnell, um ihn greifen zu können, aber er war sich sicher, dass es etwas mit einer von Abdels Bemerkungen zu tun hatte. Stephan kannte diese Art von Eingebungen und wusste, dass er ihnen unbedingt nachgehen musste. Es war eine kleine Irritation, ein kleines Unbehagen gewesen. Wobei nur? Eine widersprüchliche Aussage? Er würde nachher beim Abfassen des Protokolls noch einmal jedes Wort, das heute Nachmittag gefallen war, rekonstruieren und sich jede Geste in Erinnerung rufen.
    Am Abend machte er sich müde und enttäuscht auf den Heimweg. Der Gedanke hatte sich nicht mehr aufnehmen lassen. Überhaupt war dieser Fall sehr undurchsichtig, je mehr man ermittelte, desto mehr hatte man das Gefühl, sich in klebrigen Fäden zu verfangen. Nirgendwo gab es eine greifbare Spur, ein greifbares Motiv. Und die Menschen, mit denen man zu tun hatte, wirkten nicht gerade kooperativ. War das die besondere Note in Offenbach, oder lag es an ihm selbst?
    Stephan trat in die Pedale und genoss die frische Herbstluft, die ihn umwehte. Er wollte jetzt erst einmal alles ad acta legen und sich auf den Feierabend mit Maren freuen. Ein wenig hatte es ihn irritiert, dass er sie telefonisch nicht erreichen konnte. Auch auf seine SMS hatte sie nicht reagiert. Anstatt erst noch einmal in seiner Wohnung vorbeizufahren, machte er sich gleich auf den Weg zu ihr. Im Hintergrund stieg schon wieder jene diffuse Ahnung auf, dass es einen Täter gab, der sich an alleinstehende Frauen heranmachte. Voller Sorge schloss er die Wohnungstür auf.
    Er fand Maren auf dem Küchenboden kniend vor. Sie hatte große Bögen weißer Tapete ausgebreitet und darüber eine Landschaft aus merkwürdigen dunklen Flusen, kleinen Hölzchen, Büroklammern und verwelkten Blättern arrangiert. Daneben hatte sie eine Stehlampe postiert, die alles in grelles Licht tauchte.
    Maren war so konzentriert damit beschäftigt, mit spitzen Fingern die Staubflocken aufzunehmen und zu zerdrücken, dass sie Lars gar nicht bemerkt hatte. Vielleicht lag es auch an seiner Polizistenart, sich unhörbar zu bewegen. Als er leise »Hallo« sagte, zuckte sie zusammen, sprang auf und schaute ihn mit glasigem Blick an.
    »Ich habe dich gar nicht kommen hören«, hauchte sie. Sie wirkte fahrig und übernervös.
    Er zog sie in die Arme und sagte: »Du warst so intensiv mit deinem Kunstwerk beschäftigt, da hast du wohl alles um dich herum vergessen.«
    Sie löste sich aus seinen Armen und sah ihn entsetzt an. »Kunstwerk? Diese Sauerei ist doch kein Kunstwerk! Wofür hältst du mich? Ich habe den

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