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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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Sybilles Gesichtszüge.
    »He, was ist?«, drängte ihre Freundin. Maren nahm Sybilles Parfum wahr und wich zurück. Gerüche dieser Art erzeugten seit ein paar Tagen lähmende Übelkeit bei ihr. In ihrem Hals saß ein Kloß. Ihr wurde schwindelig. Etwas drückte sich in ihre Kniekehlen. Es war die Kante des alten Sessels. Maren ließ sich erschöpft hineinfallen. Das Zimmer um sie herum verschwand hinter einem dunklen Vorhang. Die Zeit schien sich aufgelöst zu haben. Maren bekam erst wieder Anschluss, als sie in Sybilles verschwommenes Gesicht blickte, das sich plötzlich in Augenhöhe vor ihr befand. Der Schleier vor ihren Augen verflüchtigte sich langsam. Sybille hockte vor dem Sessel und reichte Maren ein Glas Wasser, das sie dankbar annahm und in kleinen Schlucken austrank.
    »Und?«, fragte Sybille aufmunternd. »Geht es wieder?«
    Maren nickte steif. Dann richtete sie sich auf und deutete zu der Staffelei, die noch immer schräg vor dem Fenster stand. Sie war nicht bewegt worden seit heute Vormittag. Immerhin wenigstens das. Maren war in der Früh vor ihrem Schuleinsatz in dieses Zimmer gekommen, um ein Foto des Schrankes aufzunehmen. Nach den turbulenten Ereignissen gestern hatte sie sich entschlossen, das Möbelstück im Internet anzubieten. Dabei hatte sie die unglaubliche Entdeckung gemacht.
    »Sieh dir das Bild an!«, forderte sie Sybille auf. Sybille zog die Staffelei ein wenig herum, so dass sie das Bild frontal betrachten konnte.
    »Fertig!«, jubelte sie. »Du hast endlich einmal wieder ein Bild beendet! Und es ist gut. Richtig gut geworden!«
    »Findest du, dass ich das gemalt habe?«, fragte Maren. »Sag es mir ehrlich, traust du mir das zu?«
    Sybille blickte sie verwirrt an. »Natürlich hast du das gemalt! Natürlich traue ich dir das zu! Was für eine irrsinnige Frage!« Sybille hatte nicht bemerkt, wie Maren bei dem Ausdruck »irrsinnig« zusammengezuckt war.
    »Wie kommst du darauf, dass ich das gemalt habe?«, fragte Maren beharrlich weiter.
    Sybille grinste. »Weil das deine Staffelei ist. Weil das deine Farben sind. Weil das ein Motiv ist, an dem du dich schon mehrmals versucht hast und über das wir schon öfter gesprochen haben. Weil es genau deine Art ist, Perspektive zu schaffen mit diesen kleinen Andeutungen von Vegetation im Vordergrund. Weil die Farben so van-Gogh-mäßig gestrichelt sind. So malst du. Das ist ein echter Wiegand, sagt die Kunstexpertin.«
    Sybille vermutete, dass Maren ihre merkwürdigen Fragen nur gestellt hatte, um gelobt zu werden und das Gegenteil von dem zu hören, was sie postuliert hatte. Maren atmete tief durch. Sybille deutete das als Zufriedenheit.
    Maren jedoch sagte in mühsam beherrschtem Ton: »Das ist nicht mein Bild. Ich habe das zwar angefangen, aber ich habe es nicht zu Ende gemalt. Ich hatte damit aufgehört, weil es mir mal wieder zu postkartenmäßig und kitschig erschien. Ich hatte keine Idee, wie ich das verhindern sollte. Wer auch immer das gemalt hat, er hat das Problem gelöst, indem er die harten Konturen im Nebel verschwinden ließ. Dadurch sind automatisch die Farben dezenter geworden. Über das ganze vorher gemalte Bild ist diese zarte Schicht aufgetragen worden. Man sieht, dass die Farben dort, wo ich vorher war, deutlich dicker aufgetragen wurden. Das hat beinahe eine Struktur wie ein Ölbild bekommen.«
    »Ist das denn kein Ölbild?«, fragte Sybille.
    »Nein, du Kunstexpertin«, erwiderte Maren spitz. »Das ist Acryl. So was wie Wasserfarben. Im Gegensatz dazu allerdings kann man das nicht mehr verwischen, wenn es getrocknet und abgebunden ist. Es sei denn, man hat passende Chemikalien. Und die sind hier benutzt worden, um die Übergänge zu gestalten. Man roch das heute früh noch hier im Zimmer. Inzwischen habe ich gelüftet. Jemand hat meine Konturen professionell verwischt und dann in diesem Nebelton weitergemalt.«
    »Jemand?«, fragte Sybille und spekulierte weiter: »Wer, um alles in der Welt, soll so etwas tun? Julia?«
    »Nein, nicht Julia«, erwiderte Maren entschieden. »Ich habe sie heute Morgen gefragt. Sie hat mich genauso irritiert angesehen wie du mich jetzt, und ich glaube ihr. Warum auch sollte sie das tun, und wenn ja, warum sollte sie es mir dann verheimlichen? Ich wäre ihr nicht böse gewesen deswegen, im Gegenteil, ich hätte sie sehr gelobt für dieses gelungene Werk. Denn im Gegensatz zu dem, was ich als einfache Kunst-Lehrerin so zusammenkleckse, ist das hier Kunst, wirklich Kunst.«
    Sybille schüttelte

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