Das verschwundene Kind
vertuschen?«
»Es ist eine Krankheit. Und das Erste, was man dagegen tun muss, ist, sich ihr zu stellen«, mahnte Sybille.
*
Den Rest des Nachmittags verbrachte Maren damit, verzweifelt darüber nachzugrübeln, ob sie Lars von diesen Geschehnissen berichten sollte oder nicht. Sie würde es nicht aushalten, wenn er ihr nicht glaubte oder ihr wie Sybille eine heimliche Alkoholsucht unterstellte. Als er dann am Abend eintraf, spürte sie, dass er eine Ruhe ausstrahlte wie schon lange nicht mehr. Das gab ihr den Mut, ihm alles zu berichten und ihm das Bild und die Flaschen zu zeigen. Mit stoischer Akribie untersuchte er das Türschloss nach Einbruchsspuren. Zwei der Flaschen leerte er aus und verpackte sie in Kunststoffbeutel. Dann griff er nach seinem Handy. Er traf eine Verabredung mit einem Kollegen, bei dem er gleich vorbeikommen wollte. Maren schaute Lars entgeistert an. Hatte sie ihn mit ihren Schilderungen dermaßen genervt, dass er einfach das Haus verlassen und den restlichen Abend in Männergesellschaft verbringen wollte? Lars erklärte: »Ich habe gerade mit Phil telefoniert. Er ist ein Ex-Kollege, der jetzt als Privatdetektiv arbeitet. Er wird mir eine kleine Auswahl seines Überwachungsarsenals ausleihen. Die Fingerabdrücke werde ich von unserer Kriminaltechnik überprüfen lassen. Ich denke, wir werden bald Gewissheit bekommen, wer hier Bilder malt und sich Drinks genehmigt.«
»Du glaubst mir also?«, flüsterte Maren.
»Klar«, antwortete er.
Maren sank in seine Arme. »Ich bin so froh darüber. Ich dachte schon, du denkst, ich hätte sie nicht alle.«
»Blödsinn! Diese Ereignisse haben dich verständlicherweise durcheinandergebracht. Die Chinesen würden sagen, dein Yin und dein Yang sind nicht im Ausgleich. Aber das kriegen wir wieder hin.«
Das
Wir
tat gut.
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Freitag, der 26. Oktober
D ie Mittagspause war gerade vorbei. Stephan saß an seinem Schreibtisch und sortierte seine Unterlagen. Einiges an Informationen war in der letzten Woche dazugekommen, aber ein entscheidender Durchbruch war nicht dabei. Er sah zum Fenster hinaus. Ein ergiebiger Landregen rauschte herab. Stephan war wie üblich mit dem Fahrrad gekommen. Schade, eigentlich gab es nichts mehr zu tun, eigentlich könnte er jetzt in aller Ruhe ins Wochenende gleiten. Er blieb sitzen und schaute dem Regen zu. Seit gestern hatte er sich immer wieder dabei ertappt, dass er kleine Pausen einlegte und nichts anderes tat, als die Zeit verstreichen zu lassen. Innehalten. Entschleunigen. Wo kam das auf einmal her? Wurde er langsam alt?
Die Tür flog auf. Heck eilte herein. Er roch nach Frittenfett und nasser Kleidung. In seinem Gesicht stand ein lausbübisches Grinsen.
»Du wirst es nicht glauben, wo Ernestine und ich heute Morgen waren!«
Stephan musterte seinen Kollegen nachdenklich. Er wusste nicht, ob der ihm jetzt etwas Privates oder etwas Dienstliches mitteilen wollte. Heck ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken, so dass die Luft seufzend aus dem Polster entwich und der Rahmen bedenklich knarrte. Er beugte sich nach vorn. Noch immer hatte er diesen schadenfrohen Gesichtsausdruck.
»Weißt, du, du bist hier nicht der Einzige, der kreative Ideen hat und umsetzt. Ernestine und ich waren heute Morgen bei Dr. Sauer im Storchennest. Mein lieber Mann, das ist vielleicht ein Laden! Von wegen Klinik! Der Empfangsbereich ist wie in einem Grandhotel. Nur edles Holz und Marmor. Natürlich nur Privatpatienten. Da war es gut, dass ich mir mein feines Fräckelchen angezogen hatte. Du musst wissen, ich bin da als Direktor einer Privatbank aufgetreten, Ernestine als meine gnädige Frau. Wir haben das Geld für die Beratung mit der Bitte um Diskretion gleich auf den Tisch gelegt. Zweihundert Euro bar auf die Kralle wollte er. Nicht schlecht für zwanzig Minuten!«
»Für welche Beratung?«, fragte Stephan.
Heck lachte auf. »Unerfüllter Kinderwunsch!«
Jetzt musste auch Lars Stephan lachen. Heck und Ernestine als Bankdirektor-Ehepaar in einem Fruchtbarkeitstempel!
»Und? Wisst ihr jetzt, wie es geht?«
»Interessant ist der Auftritt von diesem Sauer. Der Gott in Weiß in Person! Bläst sich auf wie ein Truthahn und verspricht dir eigentlich nur Erfolg. In spätestens anderthalb Jahren werden Sie ein Kind in den Armen halten, hat er zugesagt. Und dann hat er uns erzählt, was das für Prozeduren sind, die man da über sich ergehen lassen muss. Als Mann musst du dir in einem stillen Kämmerlein selbst einen vom Bäumchen
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