Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Stewardess.«
»Reba Sikes. Na, prächtig! Außer ihr ist es also die gleiche Truppe wie bei Medea .«
»Ja. Es ist Repertoiretheater.«
»Es ist was ?«
»Repertoiretheater. Exklusiv. Das ist, wenn das Ensemble immer gleich bleibt. Hör mal, ich kann hier nicht den ganzen Tag stehen und mit dir quasseln. Ich hab zu tun.«
»Gut, aber wann verteilst du die Rollenhefte?«
»Nachdem wir fertig sind natürlich.«
»Und wann ist das? Ich will wissen, wie Patty Flynn ist.«
Mills Klavier setzte ein, und gleich auch Will:
O Patty Flynn,
wo bist du hin?
Trinkst in Grandmas Kellerbad
Aus der Wanne Gin?
Da reichte es mir, und ich ging.
15. KAPITEL
Als ich Stunden später herunterkam, sah ich Ralph mit der Herzogin von Devonshire schaukelnd und rauchend auf der Veranda sitzen. Der stieß die Rauchschwaden in die Luft, als ob die Welt ihm gehörte.
Als Antwort auf etwas, was er gesagt hatte, gab Ree-Jane ihr anerkennendes Lachen von sich, den Kopf zurückgeworfen, die rubinroten Lippen geöffnet.
Weil sie mit dem Rücken zur vorderen Fliegengittertür saßen, stellte ich mich dahinter, um zu horchen, ob sie vielleicht irgendwas Zitierbares von sich geben würden.
»Also, wie … du denn bleiben?«
»… geschäftlich …«
»Was …?«
Die hohen Lehnen der Schaukelstühle dämpften ihre Stimmen, besonders die tiefe von Ralph. Die von Ree-Jane war oftmals hoch und quietschend, so dass ihre Wörter besser verständlich waren. Aber wie ich ungefähr ausmachen konnte, war Ralph in irgendwelchen geschäftlichen Angelegenheiten hier. Wieso hatte er dann gesagt, er sei bloß auf der Durchreise? Außerdem redete sie mit ihm, als ob er ein Gast wäre, kein Angestellter.
Wieder hörte ich ihr hohes, schrilles Lachen. Es klang unfroh.
Er würde sie natürlich zu Tode bezirzen.
Ich musste an Night Must Fall denken.
»Wieso magst du ihn denn nicht?«, wollte ich von meiner Mutter wissen, während sie zum Abendessen gerade eine Hähnchenbrust auf Auroras Teller gleiten ließ. Eben hatte sie gesagt, Ralph anzuheuern wäre vielleicht nicht die allerbeste Idee gewesen.
»Wen soll ich nicht mögen?«
Ich verdrehte die Augen. »Diesen Ralph-Rafe Diggs.«
»Ich weiß nicht, er wirkt irgendwie verdächtig. Gib mir mal die Serviette.«
»Das ist Hähnchen Cordon bleu, stimmt’s?« Ich kannte doch meine Hähnchen, zumindest die von meiner Mutter. Außerdem konnte ich auch Französisch, solange es was mit Essen zu tun hatte.
»Stimmt.« Sie wischte einen schmalen Streifen saftiges Hähnchen vom Tellerrand. Darüber kamen die allergrünsten Erbsen.
»Ich glaub, diese Art Hähnchen mag Großtante Aurora nicht.«
»Ich glaub, mir ist das egal.« Kartoffelbrei mit einem kleinen Buttersee und gekrönt von einem Petersilienzweiglein vervollständigte den angerichteten Teller.
»Aber wenn sie Hähnchen allgemein mag, wieso sollte sie das dann nicht mögen?«, sagte ich.
Mir fiel auf, wie schnell meine Mutter und ich vom Thema verdächtige Pagen auf das Thema Essen umschwenken konnten.
Es war wieder so ein »Abend der individuellen Salatköpfchen«, über denen Mrs Davidow schützend schwebte. Sie sah in ihnen offenbar die Abendmahlsoblaten des Hotels Paradise. Mir gefiel die Vorstellung, wie Father Freeman an einem Sonntag die Reihe seiner Schäfchen entlangschritt, ihnen winzig kleine Kopfsalate auf die Zunge legte und dann noch einmal mit einem Kelch French Dressing vorbeikam.
»Emma!«
Unsanft schreckte Vera mich von meinem Kirchenbesuch hoch.
»Tu da nicht zu viel Dressing drauf. Und nicht mit dem Schöpfer, nimm einen Löffel.«
Ich mochte den großen Keramiktopf mit dem French Dressing. Unten am Boden lag eine Zwiebel, die wie ein Eremit in seiner Höhle schon sehr lange mariniert wurde. Ich rührte das Dressing gern um, um zuzuschauen, wie sich alles miteinander vermischte, das Öl mit dem Essig, dem Paprika, Knoblauch, Pfeffer und Zucker.
»Na gut«, sagte ich. »Wer kommt denn?«
»Die Custis mit Gästen.« Sie schniefte.
Vera hatte eine schmale, eckige Nase, gut zum verächtlichen Schniefen. Wenn sie in ihrer schwarzen Serviertracht mit den messerscharf gestärkten Manschetten in den Speisesaal hinaussegelte, hätte sie den Custis beim Brötchenverteilen damit glatt die Kehlen aufschlitzen können. Auf diesem Bild ließ ich meine Gedanken ein Weilchen verweilen.
Nun war Lola Davidow wieder da, in der Hand einen Martini, um persönlich sicherzustellen, dass ich die Salatköpfchen nicht ersäufte. Als sie
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