Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
den Sinn. Ich schaute auf die kleine Pfütze hinunter, die ich mit der weggeschütteten Kool-Aid gemacht hatte, und auf einmal tat es mir leid. Deshalb steckte ich noch eine Münze in die Schachtel und nahm noch mal einen Becher vom Turm. In den schenkte ich ein bisschen Kool-Aid ein. Diesmal trank ich; es schmeckte scheußlich, aber ich schluckte es auf einmal hinunter.
    Jetzt hatte sie zwei benutzte Becher und zehn Cent. Das war wahrscheinlich mehr Kundschaft, als sie den ganzen Tag gehabt hatte. Ich stellte mir vor, wie sie zurückkam, das rege Treiben bemerkte und sich freute.
    Ein netter Gedanke, der mich aufheitern würde.
    Während ich vom Flyback Hollow in die Red Coon Rock trottete, stellte ich mir vor, wie ich unten an der Auffahrt zum Hotel Paradise einen Stand mit Wodka, Gin und Whiskey aufbaute. Ich könnte es richtig schick machen und auf einer Karte Auroras Lieblingsdrinks auflisten: Cold Comfort, Appledew, Rumba, Bombay Breakfast, Graf von Monte Christo in Miami Beach . Wahrscheinlich müsste ich in einer Zinkwanne auch eisgekühltes Flaschenbier dahaben, denn die meisten Leute hier, wie etwa Dwayne, würden Bier haben wollen.
    Es machte Spaß, sich das auszudenken, weil Whiskey und Gin aber nicht so billig wie Kool-Aid waren, müsste ich es mir wohl noch mal überlegen.
    Ich bog in die Red Coon Rock ein. Hier verengte sich die gepflasterte Straße, hörte aber nicht auf, sondern ging in festgetretenes Erdreich über, das aussah wie mit dem Besen gekehrt.
    Das Calhoun-Haus war das blaue zu meiner Linken. Am Randstein stand ein alter Pick-up geparkt, und ich trödelte vor mich hin und kickte mit dem Schuh Erde hoch, in der Hoffnung, einen Blick auf Glorias Ehemann Cary Grant Calhoun zu erhaschen. Die Leute im Diner behaupteten, er sehe überhaupt nicht aus wie Cary Grant, aber ich wollte mich selber davon überzeugen. Vielleicht fände ich es nötig, noch mal mit Gloria zu reden. Womöglich fiel ihr zu der kleinen Fay Slade, die aus ihrer Wiege geklaut wurde, ja noch etwas ein.
    Falls sie geklaut worden war, musste ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen.
    Gloria sagte, die Slades hätten ihr erzählt, das Baby sei krank und würde schlafen, und sie solle es nicht stören. Man konnte sich kaum vorstellen, dass eine Babysitterin sich ihren Schützling nicht mal kurz anschauen würde. Meine Theorie war ja, das Baby war überhaupt nicht bei den Slades gewesen, allerdings hatte Miss Isabel Barnett behauptet, sie habe Baby Fay gesehen, und das arme Ding hätte was gehabt, was sich Down-Krankheit nannte. Damit konnte ich mir meine Theorie natürlich an den Hut stecken.
    Dann, dann (man sieht, wie schwer ich es habe) hatte Aurora Paradise gesagt, Isabel Barnett sei die größte Lügnerin weit und breit und außerdem Kleptomanin, und ich sollte überhaupt nicht drauf achten, was sie sagte.
    Also landete ich wieder bei meiner Theorie, dass das Baby gar nicht im Belle Ruin gewesen war.
    Ich dachte so angestrengt nach, dass ich an dem Wunschbrunnen glatt vorbeilief, den mein Gehirn zum Glück irgendwo registrierte. Ich blieb stehen und ging wieder ein paar Schritte zurück. Das Haus war braun (wie Mervin gesagt hatte), ein schlichter brauner Schindelbau mit weißen Einfassungen und einem weißen Zaun. Das Gartentörchen knarrte ein bisschen, und der kleine Eimer über dem Brunnen schaukelte im frischen Wind. Der Himmel verdüsterte sich allmählich. All das nahm ich als Zeichen, das mich mahnte, innezuhalten und nachzudenken. Manchmal lohnt es sich aber auch, Zeichen zu ignorieren.
    Die Fliegengittertür quietschte genauso wie vorhin das Törchen. Ich machte sie auf, um an die Tür zu klopfen. In weniger als einer Minute kam eine Frau daher.
    »Ja? Ach, hallo.« Sie hatte mit jemand Erwachsenem gerechnet und war etwas überrascht. Das geht den meisten so, wenn sie eine Zwölfjährige auf ihrer Türschwelle sehen.
    »Miss Rice? Prunella Rice?« Ich sah sie mit großen Augen fragend an.
    Sie nickte. Ihre Unscheinbarkeit wurde von ihrer Kleidung noch unterstrichen. Sie trug ein braunes Kleid, in der gleichen Farbe wie das Haus. Es hatte einen kleinen Halskragen mit weißer Paspel, wie die Einfassung am Haus. Ihr Haar hatte fast den gleichen Braunton wie das Kleid und das Haus und war zu einem altmodischen Knoten zusammengefasst. Sie hatte das, was meine Mutter »ausgeprägte Wangenknochen« nannte, es reichte aber nicht, um Prunellas Gesicht hübsch zu machen.
    »Wolltest du was Bestimmtes?«
    Nun war es mir als

Weitere Kostenlose Bücher