Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
verraten. Niemals. Doch das hatte der Sheriff eine »Zeugenaussage vom Hörensagen« genannt. Das muss man sich mal vorstellen. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.
Ich war froh, dass Mervins Frau nicht da war, denn so konnte er freier reden. Sie war ein echter Drache, ständig stichelte sie und fuhr ihn an, er solle still sein. Er sagte: »Was ist mit der Verrückten, die dich attackiert hat? Die würde doch viel eher unter Verdacht stehen als Ben Queen. War das nicht eine Verwandte von Rose Queen?«
Ich musterte Mervin, erstaunt, weil er anscheinend meine Gedanken gelesen hatte. Es war aber einfach so, dass Mervin sich die Dinge reiflich überlegte, und damit war er hier anscheinend oft der Einzige. Außer Louise Snell natürlich. Die war ziemlich clever und redete nicht bloß, um sich selber reden zu hören.
»Ja. Rose war, wie Sie wissen, eine Devereau.«
»Dann hätte es Rache sein können. Stimmt’s?«, sagte Mervin.
Billy, der normalerweise mit dem Rücken zu Mervin saß, drehte sich auf seinem Hocker zu ihm um. »Also, Mervin, du hast doch Rose Queen gar nich gekannt und Roses Familie auch nich. Quatschst hier aber rum, wie wenn’s so wäre.«
Billy war so eifersüchtig auf Mervin, dass es kaum auszuhalten war. Ich runzelte die Stirn, als würde ich über die Geschichte mit Rose Queen sinnieren, genoss aber eigentlich bloß meinen Kuchen. Ich konnte mir ja was überlegen, wenn ich ihn verdrückt hatte.
»Ich bin schon viele Jahre hier, Billy. Und hab Sachen gehört. Etwa, dass Fern mit ihrer Mutter ein paar Monate weg war. Hört sich ganz danach an, würd ich sagen.«
»Nach was?«
»Da geht ein Mädchen ein paar Monate weg … wetten, es ist die übliche Geschichte.«
Billy und nun auch Don Joe wollten was dagegen einwenden. Das merkte man – einfach daran, wie die dasaßen, die Arme fest über der Brust verschränkt.
Louise Snell sagte: »Also, ich weiß bloß, dass das Mädchen ganz schön Ärger gemacht hat.«
Don Joe schnaubte. »Ärger, ja, kann man wohl sagen. Zwanzig Mal auf ihre Mutter eingestochen hat sie mit dem Messer da.«
»Bloß ist das nie bewiesen worden«, entgegnete Louise Snell. »Ben hatte die ganze Zeit ein Alibi, hat er aber nich angegeben, vermutlich weil er schon wusste, dass sie’s gewesen war.«
Er hatte ein Alibi, und ich war diejenige, die es aufgedeckt hatte, in Smittys Futtermittelhandlung, wo Ben Queen sich aufgehalten hatte, als der Mord an seiner Frau begangen worden war.
Louise wischte die Theke sauber. Das machte sie anscheinend mit Vergnügen. »Schade, dass sie nicht noch ein Kind kriegen konnten.«
Ich musterte sie verwundert. »Sie meinen, Rose und Ben Queen? Warum nicht?«
Wie das Eliasfeuer gingen rasche Blicke an der Theke auf und ab. Das machen Erwachsene bloß, wenn es etwas mit Sex zu tun hat, dachte ich mir und seufzte. »Sie meinen, Rose musste sich …«, mir fiel das Wort nicht ein, »ihre Dingsbums entfernen lassen?«
Wieder schnaubte Don Joe. »Man sollte meinen, wer sich mit Alaska und Hawaii auskennt, weiß über ›Dingsbums‹ Bescheid.«
»Ach, halt die Klappe, Don Joe«, sagte Louise. »Nein, Schätzchen. Das Problem lag bei ihrem Mann. Manchmal, wenn ein Ehepaar keine Kinder kriegen kann, liegt es an der Frau, manchmal aber am Mann, weißt du.«
»Ach.« Weil ich es eben nicht wusste, wechselte ich das Thema und kam darauf zu sprechen, weshalb ich überhaupt hergekommen war. »Kennt hier in der Gegend jemand von Ihnen eine Frau namens Prunella?« Mir war plötzlich eingefallen, dass ich ja jetzt Reporterin für den Conservative war und mir gar keine Gründe ausdenken musste, weshalb ich Leute ausfindig machen oder mit ihnen reden wollte. Was nicht hieß, dass ich mir nicht doch Gründe ausdachte, bloß war es eben nicht nötig.
Evren, der auf der anderen Seite von Don Joe saß, sagte: »Ja, doch, da gibt’s eine Prunella Rice. Wohnt die nicht im Holler, Billy?« Evren gab Billy gegenüber immer klein bei, obwohl der fast immer falsch lag.
»Also, jetzt lass mich mal überlegen, solange Louise mir hier Kaffee nachfüllt.« Er grinste, als hätte er gerade etwas richtig Schlaues gesagt. Er bekam seinen Kaffee und machte schon den Mund auf, um was zu sagen, aber nicht schnell genug.
Mervin sagte: »In Red Coon Rock wohnt sie.«
Das brachte Billy dann so richtig auf die Palme. »Na, wie kommt das jetzt, dass du, wo gerade mal zehn Jahre hier is …«
»Fünfzehn«, korrigierte ihn Mervin und trank seinen Kaffee.
»Also, ich bin
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