Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
einzuhämmern.
Donny sagte in seinem hinterhältigen Ton: »Jemand Neues in der Stadt, für den wir uns alle interessieren.«
Wohl wissend, dass er wollte, dass ich nachfragte, tat ich ihm den Gefallen nicht.
»Ja, jemand, den ich gut zwanzig Jahre hier nich gesehen hab. Damals, wo mein Onkel noch Sheriff war. Ja, Talent zum Sheriff liegt bei uns in der Familie.« Er bedachte mich mit einem Lächeln, das wohl allwissend wirken sollte. »Hat einen ganz schönen Aufruhr verursacht, der Bursche.«
Maureen sang es geradezu heraus: »Morris Slade, der ist es« und versetzte dem Schreibwagen einen Schlag – zzzzzing .
Donny fuhr zu ihr herum. »Och, Maureen, du sollst doch keine Polizeiinterna preisgeben.«
»Oh, Verzeihung.« Zzzzzzing! »Ich dachte, du hast vielleicht seinen Namen vergessen.«
»Gar nix hab ich vergessen. Ich erzähl bloß nich jedem Hinz und Kunz, der hier reinstolpert, was von Polizeiangelegenheiten.«
»Was macht Morris Slade denn dann hier in der Stadt?«, erkundigte ich mich.
Dieses höhnische Lächeln! »Das würdest du wohl gern wissen, hä?«
Ja. Du aber auch.
Weil ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, Donny zu fragen, wo der Sheriff war und wann er zurückkäme, ging ich wieder. Erst nachdem ich das Gerichtsgebäude verlassen hatte, fiel mir Dr. McComb ein.
Dr. McComb war bereits pensioniert und wohnte draußen an der Valley Road. Er war einer meiner Lieblingsmenschen und machte die besten Brownies, mit Ausnahme von denen meiner Mutter. Er hatte damals, als die kleine Fay entführt worden war, auch schon hier gewohnt und musste die Slades und die Woodruffs gekannt haben. Vielleicht hatte das Hotel sogar einen Arzt gerufen, als es passierte, falls die Eltern hysterisch reagierten oder so etwas.
»Valley Road.« Delbert klang irgendwie verwirrt, als er es sagte, und trommelte dabei mit den Daumen aufs Lenkrad.
»Delbert, du hast mich doch vor ein paar Wochen hingefahren und davor auch schon mal. Du weißt haargenau, wo es ist. Dr. McComb wohnt draußen an der Valley Road.«
» Weiß ich doch, ich überleg bloß grade, was die beste Route is.« Endlich ließ er den Motor an.
»Da gibt’s bloß eine Route. Du fährst zur Red Bird Road, und die führt zur Valley Road.«
Er fuhr die Second Street so langsam hinunter, dass man hätte meinen können, dort wäre durchgehend rote Welle. »Da gibt’s mehr als eine Route. Ich könnte zum Beispiel um den Country Club rum …«
Ich hätte zu Fuß gehen sollen! Das hätte zwar über eine Stunde gedauert, aber egal! »Fahr einfach so wie beim letzten Mal.«
»Also, letztes Mal, da …«
Ich rutschte tiefer in meinen Sitz und blieb dort, bis wir an der Country Club Road vorbei waren. Dabei fragte ich mich, was La Porte und Umgebung eigentlich mit einem Country Club wollten.
29. KAPITEL
Anstelle von Dr. McComb kam eine merkwürdige Frau, die ich hier schon mal gesehen hatte, an die Tür. Sie war sogar noch merkwürdiger als Mrs Louderbacks Freundin, zumindest kam es mir so vor. Sie fragte mich, was ich wolle, mit einer Stimme, die sich rostig anhörte, so als würde sie sie nicht oft gebrauchen. Ich weiß noch, als ich das erste Mal da war, saßen wir bloß da, ohne dass sie überhaupt was sagte.
Ohne meine Frage nach Dr. McCombs Verbleib zu beantworten, winkte sie mich herein. Sie setzte sich auf einen Sessel mit Husse und bedeutete mir, mich ihr gegenüber auf das Sofa zu setzen. Wieso, weiß ich auch nicht.
Dann dachte ich mir aber, dies wäre doch die goldene Gelegenheit, etwas über Verrücktheit herauszukriegen. Also machte ich ein nachdenkliches Gesicht und sagte nach gebührender Nachdenklichkeit: »Sind Sie schon mal jemand begegnet, der Dinge sehen konnte, die nicht da waren?«
Sie bedachte mich mit dem allerleisesten Anflug eines Lächelns, als wollte sie es sich in weiser Voraussicht versagen. Das war schlimmer als überhaupt kein Lächeln, irgendwie unheimlich. »Dinge, die nicht da waren«, wiederholte sie wie bei einer Lektion.
Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass da doch Dinge waren und vielleicht hinter mir lauerten. Also drehte ich mich um und schaute nach. Dann wandte ich mich wieder her und sagte: »Ich habe eine Freundin, die sieht Leute, von denen ich glaube, dass sie gar nicht da sind.«
Sie nickte, immer noch mit diesem leisen Anflug eines Lächelns, als würde sie dieselben Leute kennen wie meine »Freundin«. Falls das stimmte, hatte ich ein Problem. Ich zwirbelte eine mausbraune Haarsträhne um den
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