Das Versprechen der Kurtisane
sei er verletzt, dass er nicht gefragt worden war.
Wieder verspürte Will die Kluft, die sich zwischen ihm und seinem Bruder – Hölle, zwischen ihm und allen anderen Blackshears – aufgetan hatte, seit er in den Krieg gezogen war. Diese letzte, entscheidende Entfremdung war vielleicht unausweichlich gewesen, und dennoch. Falls er in ein paar Tagen tödlich verwundet sein würde, würde er unter anderem bedauern, dass er in den Monaten seit seiner Heimkehr nicht stärker versucht hatte, die alten Familienbande neu zu knüpfen.
Nicht mehr zu ändern. »Es tut mir wirklich leid, Nick.« Da kam der Diener mit dem Mantel, er musste sich kurzfassen. »Ich weiß, was dein Beruf und dein guter Name dir bedeuten. Mein eigenes Glück würde ich gern opfern, wenn nur mein eigenes Glück auf dem Spiel stünde.« Er setzte den Hut auf. »Aber sie liebt mich. Sie vertraut mir. Eher sterbe ich, als dass ich sie verrate.«
Und das würde er vielleicht, in gar nicht ferner Zukunft. Als er seines Bruders Stadthaus verließ und die Treppe zur Straße hinunterging, kam er nicht umhin, sich zu fragen, ob einigen in seiner Familie dieses weniger skandalöse Ende nicht lieber wäre.
Eine Stunde später saß er vor Fullers Schreibtisch, die Ellbogen auf den Stuhllehnen, und starrte stirnrunzelnd aus dem Fenster auf das unter Sonnenentzug leidende Grün vom Russell Square. »Ich verstehe nicht. Warum machst du mir keinen Vorwurf?« Er drehte sich wieder um.
»Du machst dir doch selbst schon genug Vorwürfe.« Fuller zuckte die Schultern, die Hände auf seiner Post gefaltet. »Und du hast heute bereits den größten Teil deiner Familie verloren.
Und
du könntest nächste Woche tot sein.« Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Alles in allem denke ich, ich sollte dir lieber etwas zu trinken anbieten.« Er stützte sich auf den Tisch und stand auf.
»Aber was wirst du jetzt tun? Kannst du so schnell einen anderen Investor finden?«
»Vielleicht. Ich habe Interessenten. Du wärst mir lieber gewesen, muss ich aber ehrlich sagen.« Am anderen Ende des Raums holte Fuller eine Flasche und zwei Gläser aus dem Schrank. »Die anderen können meine Handelspartner nicht mit so feinen englischen Manieren beeindrucken. Und sie sind auch nicht so vertraueneinflößend wie du.«
»Unterm Strich ist diese Gabe eher ein Fluch als ein Segen, glaube ich.« Er drückte sich die scharfe Ecke eines Manschettenknopfs in den Daumen, ein winziger Akt der Selbstkasteiung. »Menschen wie du vertrauen mir, aber vielleicht sollten sie das lieber nicht.«
»Jetzt übertreibst du aber ein bisschen, Blackshear, meinst du nicht?« Der Branntwein gurgelte leise, als Fuller erst das eine, dann das andere Glas füllte. »Was hätte denn ein vertrauenswürdiger Mensch anders gemacht als du? Beide Augen zugedrückt, als Miss Slaughters Gentleman sie geschlagen hat?
Tut mir leid, Liebling, aber Jack Fuller erwartet von mir, dass ich ihm helfe, ein Schiff zu kaufen, und deswegen muss ich gut auf mich aufpassen?
« Er steckte den Korken wieder auf die Flasche und stellte sie weg. »Du hast nach bestem Wissen gehandelt. Du hast ja nicht vorgehabt, dich zu verlieben, dir ein Duell anzulachen, und Geld für Miss Slaughter zurücklegen zu müssen, falls du ums Leben kommst.« Vorsichtig hob er die Gläser auf und trug sie mit ungleichmäßigen Schritten durch den Raum. »Wenn du das alles extra eingefädelt hättest, wäre das was anderes. Dann würde ich jederzeit mit Freuden über dich herziehen.«
»Ich bewundere deinen Gleichmut.« Will ergriff seinen Branntwein und stürzte einen tüchtigen Schluck hinunter. »Du hättest mal meine Brüder sehen sollen.«
»Ich glaube, das ist ein Vorteil meines Standes.« Fuller setzte sich wieder. »Wir Händler werden von früh an damit konfrontiert, dass die Dinge nicht immer so laufen, wie wir es gern hätten. Da lernt man Gelassenheit.« Er nahm ebenfalls einen Schluck. »Ich kann den Handel nur jedem empfehlen, allein schon als Charakterschule. Das kannst du deinen Brüdern ausrichten.«
Ha! Vielleicht würde er das. Schriftlich wenigstens. Noch ein Schluck Branntwein, und schon verspürte er die wärmende Wirkung. Oder vielleicht hatte das warme Gefühl auch andere Gründe.
Es war alles wahr, was Andrew gesagt hatte – er hatte eine eigennützige Entscheidung getroffen und die Familienehre besudelt – und doch gab es hier, am Russell Square, andere Wahrheiten. Andere Erwartungen. Nicht
einmal
hatte sein
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