Das Versprechen der Kurtisane
entschuldigenden Blick zu.
»Na also. Ich habe mich für die Navy entschieden.«
Der Angestellte legte den Kopf in den Nacken, wie um sie aus der Ferne besser einschätzen zu können. »Haben Sie einen Vertreter dabei?«
Glauben Sie denn, ich würde ganz allein hier aufkreuzen, wenn ich einen hätte?
»Die Summe ist nicht so groß, als dass ich einen benötigen würde.« Nicht den Blick senken. Nicht wegschauen! Und um Gottes willen nicht mit der Stimme zittern! »Vorläufig möchte ich nur hundert Pfund anlegen.«
Sie sah, wie er eine Augenbraue hochzog, bevor er sich vorbeugte und nach einem trockenen Federkiel griff, mit dem er sich mehrmals nachdenklich an die Unterlippe tippte. »Das ist in der Tat eine sehr kleine Investition. Sogar die Annuität der Navy würde Ihnen am Jahresende nur fünf Pfund extra einbringen.«
»Sie kommen zum gleichen Ergebnis wie ich.«
Haben Sie viele Kunden, die sich fünf Prozent von hundert nicht selbst ausrechnen können?
»Fünf Pfund mehr, als ich sonst hätte.«
Der Federkiel tippte weiter. Seine Augen nahmen einen sonderbaren Ausdruck an, und seine Stirn kräuselte sich, so als wären sie und ihre hundert Pfund nicht nur absurd, sondern auch irgendwie beunruhigend.
Unverschämter Gockel.
Sie rückte auf die Stuhlkante. »Die hundert Pfund sind ja nur ein Anfang. Ich hoffe, dass ich bald mehr anlegen kann.«
»Waren Sie schon einmal Kundin hier?« Sein Blick schoss von ihren Augen zu ihrem Mund und zu ihrer geschmackvollen Goldkette, und die Stirnfalte vertiefte sich. Er kratzte sich mit dem Ende des Federkiels die Nase.
»Nein, ich hatte bisher noch nicht das …« Lydia stockte und sog die Luft ein. Sie schmeckte plötzlich wie brackiges Wasser.
Etwas in seiner Haltung, oder wie er seinen Kopf hielt, hatte eine Tür in ihrer Erinnerung geöffnet, und nun stürzte der Inhalt auf sie ein.
Sie war noch nie seine Kundin gewesen. Aber er der ihre.
Sie schlug die Augen nieder und wand sich die Bänder ihres Retiküls so eng um das Handgelenk, dass die Durchblutung abgeschnitten wurde. Sie hatte im Bordell so wenig wie möglich auf Gesichter geachtet und versucht, die, die sie gesehen hatte, sofort wieder zu vergessen. Doch sie war nicht immer ganz erfolgreich gewesen.
Sie räusperte sich, um ihr Schweigen zu überspielen. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen, nein.« Sie zwang sich, aufzublicken.
Jetzt ergab sein sonderbarer Ausdruck Sinn. Er versuchte, sie einzuordnen. Und in dem Augenblick, in dem es ihm gelang, sah sie es sofort. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Nasenlöcher weiteten sich. Sein Mund verzog sich langsam zu einem wollüstigen Grinsen, und er ließ den Blick lüstern über ihre Gestalt gleiten.
Und dann über Janes.
Lydia sprang auf. Allein wäre sie vielleicht geblieben und hätte die Beleidigung erduldet. Darin hatte sie weiß Gott Übung.
Doch Jane hatte nichts Schlimmeres verbrochen, als eine Stellung als Hausmädchen bei der Geliebten eines Gentlemans anzunehmen. Vermutlich hatte sie noch nie von
Mrs Parrish’s
gehört, und sie brauchte auch jetzt nichts davon zu erfahren.
»Ich werde meine Zeit nicht länger mit Ihren sinnlosen Fragen verschwenden.« Sie schob sich vor ihr Dienstmädchen, um Jane vor seinen schmutzigen Blicken zu schützen. »Wenn Sie die hundert Pfund einer Dame als zu unbedeutend für Ihre Aufmerksamkeit betrachten, werde ich mich anderswo nach einer Geldanlage umsehen. Kommen Sie, Miss Collier.«
Der Mann stand nicht einmal auf. Er sah sie lediglich an, und sah Jane an, mit einem Ausdruck, der ihr Innerstes in Aufruhr versetzte. Sie wandte sich ab und verließ die Bank, so schnell sie konnte, beziehungsweise so schnell es der wunde Fuß ihres verdutzten Dienstmädchens zuließ. Verflucht sei ihre Selbstsüchtigkeit! Zwei Meilen weit hatte sie das arme Mädchen durch die Stadt gescheucht, und nun musste sie sie zwei Meilen weit zurückscheuchen, für nichts und wieder nichts. Jetzt würden die hundert Pfund ihr nicht einmal die erhofften zusätzlichen fünf Pfund einbringen.
Martha fuhr ausgerechnet in einem offenen Zweispänner mit roten Rädern vor. Ihre aufrechte, ernsthafte Gestalt wollte nicht so recht zu der schillernden Equipage passen, und ihr schlichtes Kleid wurde von der schicken grünen Samtlivree des Dieners hinter ihr völlig in den Schatten gestellt. »Es war nicht meine Idee, das darfst du mir glauben«, sagte sie, nachdem Will sich neben sie gesetzt und ihr die Zügel abgenommen hatte.
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