Das Versprechen der Kurtisane
»Mr Mirkwood hat darauf bestanden. Er findet, das gehört sich so, bei einem Anstandsbesuch.«
»Hat er diesen Wagen gefahren, als er dir den Hof gemacht hat?« Die Pferde ließen sich wunderbar lenken – sie waren lebhaft und aufmerksam und natürlich auch perfekt ausgewählt, beide glänzend schwarz und von gleicher Größe.
»Er hat mir nicht wirklich den Hof gemacht. Wie auch.« Martha starrte geradeaus. »Wir haben uns kennengelernt, als ich gerade frisch verwitwet war. Ich habe ihn als Grundbesitzer schätzen gelernt. Und als Mr Russells Besitz dann an dessen Frau fiel, war Mr Mirkwood so gut, um meine Hand anzuhalten.« Sie war immer heftiger errötet, während sie gesprochen hatte, und glühte jetzt geradezu.
Die Dinge änderten sich wohl, wenn man fort war. Das Leben ging ohne einen weiter und nahm bisweilen unerwartete Wendungen, und die Menschen, zu denen man zurückkehrte, waren nicht mehr ganz dieselben. Seine zugeknöpfte kleine Schwester hatte während seiner Abwesenheit Geschmack an der Ehe gefunden und nicht nur einmal, sondern gleich zweimal geheiratet. Der erste Mann würde ihm wohl gesichtslos bleiben, da er gestorben war, als die Ehe noch keine zwölf Monate alt gewesen war. Der zweite war nur allzu gegenwärtig: ein extravaganter Genussmensch, der keine Zeit verloren hatte, sie zu schwängern, und dank dessen sie mit befremdlicher Häufigkeit errötete.
»Und wie geht es der kleinen Augusta?« Er zügelte das Gespann, um eine Fußgängergruppe die Straße überqueren zu lassen. Die Pferde reagierten auf die kleinste Andeutung.
»Sehr gut. Sie ist robust.« Das war keine Selbstverständlichkeit für die Blackshear-Geschwister, von denen ebenso viele vor oder kurz nach der Geburt gestorben waren, wie überlebt hatten. »Sie hat angefangen, überall herumzukrabbeln und sich an den Möbeln hochzuziehen. Vermutlich keine außerordentliche Leistung für ein Kind von zehn Monaten. Ich bilde mir jedenfalls nicht ein, dass es jemanden außer der Mutter und dem Vater interessiert.«
»Onkel auch, das kann ich dir versichern.« Gott. Wie war es nur so weit gekommen? Hatten sie nicht gerade erst nebeneinander im Schulzimmer gesessen, sieben und zehn Jahre alt, sie aufrecht und aufmerksam, er zum Zerreißen gespannt, wann Miss York sie endlich nach draußen entlassen würde? »Spricht sie schon?«
»Mr Mirkwood glaubt, ja. Ich bin noch nicht überzeugt. Aber du kannst gern jederzeit kommen und sie dir ansehen.« Sie sah ihn aus ihren dunklen Augen an. »Ich wünschte, du würdest uns mal besuchen.« Da war die Besorgnis. Der Versuch, ihn tiefer in den Kreis der Familie zu ziehen, wo er endlich über das, was ihn so plagte, hinwegkommen und wieder zu dem Bruder werden würde, an den sie sich erinnerte. »Ich könnte ein Abendessen ausrichten und die Dame einladen, die wir jetzt gleich besuchen.«
»Hat Kitty dir denn gar nichts darüber beigebracht, wie man sich als verheiratete Schwester benimmt? Du musst Damen einladen, die
du
ausgesucht hast, und je weniger Interesse ich habe, desto energischer musst du sie mir aufdrängen.« Er nahm eine Hand von den Zügeln und zwickte in die Krempe ihrer Haube. »Mrs Talbot solltest du jedenfalls von deiner Liste streichen. Sie ist keine zukünftige Schwägerin, sondern nur die Witwe von jemandem aus meinem Regiment. Ich habe ihm versprochen, ab und zu nach ihr zu sehen, falls ihm etwas … zustoßen sollte. Hoffentlich bist du nicht zu vornehm geworden, um dich in Camden Town sehen zu lassen.«
Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet und wartete auf eine Möglichkeit, die schwerfällige Bierkutsche vor sich zu überholen, doch er spürte die unentwegte Aufmerksamkeit seiner Schwester. Spürte, wie sie seine Erklärung durchging, die Worte sanft aufwirbelte und sich wieder setzen ließ wie eine Wahrsagerin die Teeblätter. »Hast du schon oft nach ihr gesehen?«
Will schüttelte den Kopf. »Vor ein paar Monaten war ich dort, um ein paar von Talbots Sachen zurückzubringen. Briefe und so. Einen reinen Anstandsbesuch wollte ich lieber in weiblicher Begleitung machen.«
»Ja, das gehört sich so.«
»Es ist vor allem vernünftig. Allein würde mir schnell der Gesprächsstoff ausgehen, aber sie hat einen kleinen Sohn, etwa zwei Jahre alt. Vermutlich könnt ihr eine Viertelstunde damit verbringen, euch über Kinder auszutauschen.«
»Camden Town.« Mit ihren Lederhandschuhen strich Martha sich die wollenen Röcke glatt, so als verlange die wenig vornehme
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