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Das Versprechen der Kurtisane

Das Versprechen der Kurtisane

Titel: Das Versprechen der Kurtisane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Grant
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Wind herumwirbelte, und raffte sie vorn zusammen. Seit zwei Tagen war sie hier, und gestern waren die Gäste angekommen. In beiden Nächten hatte sie nicht gewollt, dass er sie anrührte. Der unbändige Heißhunger, der in der letzten Woche in London von ihr Besitz ergriffen hatte, hatte es offenbar nicht nach Essex geschafft. Und so war sie an beiden Abenden vor ihm zu Bett gegangen und hatte tiefen Schlaf vorgetäuscht, als er neben sie gekrochen war. Ein drittes Mal würde das garantiert nicht funktionieren. Ein Mann hielt sich schließlich keine Mätresse, um ihr beim Schlafen zuzusehen.
    Über den Halbstiefeln waren ihre Strümpfe und der Saum ihres Kleides durchnässt. Sie hatte die Richtung eingeschlagen, die entgegengesetzt der lag, in die sie im September spaziert war, über die Wiese vor dem Haus und ins hohe Gras, das vom Regen der letzten Nacht nass war. Egal. Wenn Edward aufgestanden und in die Kirche gegangen war, würde sie zurückkehren, die nassen Sachen ausziehen und schlafen.
    In einiger Entfernung vom Haus begannen Hügel. Zuerst kleine, dann steilere. Strammen Schritts erklomm Lydia zuerst einen und dann den nächsten, so als habe sie ein Ziel, und atmete tief die Luft ein, die einen Hauch vom Salz der Küste enthielt. Weiter und weiter bahnte sie sich ihren Weg, in raueres Gelände mit unbekannter Vegetation, bis sie auf einer letzten Hügelkuppe ankam und auf einer Anhöhe in etwa fünfzehn Metern Entfernung die Gestalt eines Mannes erblickte.
    Sie blieb stehen. Sie war sicher gewesen, dass zu dieser Stunde niemand außer ihr wach und draußen sein würde, und schon gar nicht so weit vom Haus entfernt.
    Er wandte ihr den Rücken zu. Er trug keinen Hut, und eine Seite seines offenen Mantels flatterte im Wind. Er blickte nach Osten. Zum Meer. Nach Belgien und Waterloo, wenn man weit genug fahren würde. Aus dieser Entfernung hätte es jeder große, dunkelhaarige Mann sein könne, doch das war es nicht. Sie wusste es einfach.
    Wie unendlich entfernt er aussah. Einsam und unerreichbar. Er versuchte nicht einmal, sich vor dem Wind zu schützen, als er so dastand, den Blick auf irgendetwas gerichtet, das sie nicht sehen konnte. Gestern am späten Nachmittag war er angekommen, zusammen mit dem Viscount, und ihr Herz war zu Boden gestürzt wie ein Jungvogel, der zu früh aus dem Nest gestoßen worden war.
    Nein, nicht ihr Herz. Etwas anderes. Vermutlich einige jener fest verschnürten Überreste der Wut, die jetzt dort wohnten.
    Der Wind wurde stärker. Ihr Mantel riss sich aus ihren Fingern und flatterte zur Seite, wie um seinen nachzuahmen. Er drehte sich um.
    Falls er überrascht war, sie zu sehen, konnte man es auf die Entfernung nicht erkennen. Er sah sie einfach nur an, so als wäre sie ein Teil der Landschaft, die er studierte. Dann hob er die Hand und tippte sich an den nicht vorhandenen Hut.
    Auch sie war ohne Kopfbedeckung aus dem Haus gegangen, trotz der Wolken, die Regen ankündigten. Sie gaben sonderbare Spiegelbilder ab, als sie mit wehenden Mänteln dastanden, beide unzureichend für das Wetter gerüstet.
    Seit elf Tagen hatten sie nicht miteinander gesprochen. Sie schlang den Mantel wieder um sich und ging zu ihm.
    »Man kann das Meer riechen«, sagte er, als sie ihn erreicht hatte. Kein Gruß. Er wandte sich wieder um, sodass sie nebeneinander standen und nach Osten blickten, wo das Grün der Hügel im Dunst verschwand.
    »Es ist nicht weit. Bei gutem Wetter ist es ein schöner Spaziergang.« Klang das albern für einen Mann, der den Kanal überquert hatte, um im Krieg zu kämpfen?
    Er sagte nichts. Nach einer Weile drehte er den Kopf. »Nicht in der Kirche?«
    Sie unterdrückte ein Lachen. »Nein, Mr Blackshear.« Sie verschränkte die Arme um die flatternden Mantelsäume. »Dirne bleibt Dirne, auch sonntags.«
    »Andere Damen gehen gewiss. Und die Gentlemen, die sie aushalten.« Er hielt den Blick auf den Horizont gerichtet.
    »Das ist ihre Sache. Ich vermute, Sie werden nicht unter ihnen sein?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe dort noch weniger zu suchen als Sie.«
    »Wie können Sie das sagen? Sie sind der aufrechteste Mensch dieser ganzen Gesellschaft.«
    »Vergeben Sie mir, wenn ich das als Kompliment auffasse.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er drehte sich aber nicht um, um es mit ihr zu teilen, und eine Sekunde später wehte der Wind es davon. »Mörder bleibt Mörder, auch sonntags.« Er artikulierte die Worte mit äußerster Präzision. »Meine Sünde übertrumpft

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