Das Versprechen der Kurtisane
Schande gemacht habe.« Sie riss ein Blütenblatt aus und warf es weg.
»Das muss deinen Verlust doppelt schwer gemacht haben.« Wie ein Arzt sprach er ihr ruhig Mut zu, während er sie nach inneren Verletzungen abtastete. Sie brannten trotzdem wie Feuer.
»Es wäre in jedem Fall schwer geworden. Von den Verwandten wollte mich niemand aufnehmen, und der Cousin, der unser Haus erbte, behauptete, mein Anteil sei für Arztrechnungen draufgegangen. Ich war mittellos und verzweifelt. Du kannst dir gewiss vorstellen, wie eine solche Frau in einem Etablissement wie dem von Mrs Parrish enden konnte.« Sie ließ die Blume fallen. »Ich glaube, damit ist meine Geschichte beendet. Ich wäre dir dankbar, wenn du nichts davon weitererzählen würdest.«
»Natürlich. Es ehrt mich, dass du mir das anvertraut hast.«
Er musste wohl spüren, wie aufgewühlt sie von der Anstrengung dieses Bekenntnisses war, denn er stellte keine Fragen mehr. Was war er doch für ein einzigartiger Mann! Seine Prinzipien hatten es ihm verboten, sich unbekümmert im Korridor einer Spielhölle mit ihr zu vergnügen, und jetzt hatte er sie dazu gebracht, ihm die persönlichsten Dinge anzuvertrauen. Jener Dame in Camden Town würde das ganz sicher nicht gefallen.
Vielleicht ist es nicht das, was ich vermute. Sein Verhältnis zu dieser Dame.
Vielleicht sollte es eine Zweckehe werden, in der es beiden freistand, ihre Liebe anderswo zu verschenken. Vielleicht war es … eine arme, aber respektable Tante, für die er die Verantwortung übernommen hatte.
Das führte zu nichts. Er wollte nicht ihr Liebhaber sein. Wie oft musste er es sagen, bis sie das begriff?
Sie trennten sich in einiger Entfernung vom Haus, um der Diskretion willen. Als Lydia wenig später ins Bett kroch, endlich von nassem Kleid und Strümpfen befreit, grübelte sie nicht über die Dinge, die sie ihm anvertraut hatte, oder andere rührselige Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit. Sie gab sich auch nicht der Erinnerung an seine taktvolle Aufmerksamkeit hin. Nein, sie schlief mit dem Bild im Kopf ein, das sie gesehen hatte, als sie ihn auf der Anhöhe erblickt hatte: eine einsame Gestalt, an deren Mantel der Wind zerrte, und die den Blick auf das weit entfernte Meer gerichtet hielt.
Als er sich abends im Billardzimmer einfand, glaubte Will, wahnsinnig werden zu müssen. Kein Wort hatte er seit dem Spaziergang mit Lydia gewechselt. Sie hatte den Tag in Roanokes Zimmer oder zurückgezogen mit den Damen verbracht, und beim Essen hatte sie beide Male zu weit von ihm entfernt gesessen. Und die ganze Zeit brodelte die Wut in ihm, die er bei ihrer Erzählung heruntergeschluckt hatte. Er wusste, sie hätte es nicht geschätzt, wenn er ihr Ausdruck verliehen hätte.
Herr im Himmel, was das Leben den Menschen antat. Was Menschen einander antaten. Den rückgratlosen Schuft, der sie verraten hatte, wollte er jagen und prügeln, bis sein Leben am seidenen Faden hing. Und danach wollte er jeden einzelnen räuberischen Bastard, der sie gevögelt und auf einen zweckmäßigen, unfruchtbaren Leib reduziert hatte, aufspüren und windelweich schlagen, einen nach dem anderen.
Will streckte die Arme aus, die Handflächen nach außen gewandt, und dehnte die Finger.
Ein
räuberischer Bastard war zum Greifen nah. Roanoke thronte an einem der Billardtische und erzielte eine Karambolage nach der anderen – mit irritierender und völlig übertriebener ausholender Gestik, aber auch mit beirrendem Geschick. Wenn man ihm ein paar Zähne ausschlüge, würde er nicht mehr so grinsen.
Doch was hätte sie davon? König Kieferknochen war nur eine unbedeutendere Plage in einem Leben voller Katastrophen. Selbst wenn er bereuen und sich dafür entschuldigen würde, dass er sie nicht wertgeschätzt hatte, selbst wenn er ihr genug Geld überschreiben würde, um sie unabhängig zu machen, würde zu viel Unrecht ungesühnt bleiben. Selbst wenn jeder Mann, der sie je angerührt hatte, Wiedergutmachung leisten würde, brächte das weder ihre Eltern oder ihren Bruder zurück noch die Möglichkeit, Mutter zu werden. Ebenso wenig wie die Zuversicht und den Glauben, mit dem sie einst dem Leben entgegengesehen haben musste.
»Willst du schon wieder fertiggemacht werden?« Lord Cathcart lehnte sich lässig neben Will an die Wand. »Ich hätte gedacht, du würdest dich heute mit einer Frau trösten. Unser Gastgeber hat dafür gesorgt, dass kein Mangel herrscht.«
Es stimmte. Neben den inzwischen bekannten Gesichtern der
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