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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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endgültig meinem Vater zum Fraß vor.
    Wenn ich heute, aus dieser großen Distanz, auf jenen längst vergangenen Besuch Nabokovs zurückblicke, entsinneich mich auch jener beträchtlichen Enttäuschung, die ich damals verspürte. Wenngleich Vater zweifellos dem Philosophen Berdjajew den Vorzug gegeben hätte, war er auch ein großer Bewunderer Nabokovs. Er hielt ihn für einen der größten Schriftsteller der Gegenwart. Aber er sprach auch voller Bewunderung von Nabokov als Mensch. Und deswegen hatte ich mir etwas Außergewöhnliches erwartet, ein kleines Weltwunder, meinetwegen den Fürsten Bolkonski in einem Zobelpelz und mit dem Orden des heiligen Dmitri III. Klasse. Und so hatte ich mir die Enttäuschung, die sich dann bei mir einstellte, durch meine damalige Beschränktheit selber zugefügt.
    Bevor Vladimir Nabokov also am nächsten Tag abreiste, gab er meinem Vater ein Geschenk, das Vater dann bis zu seinem Tod (der jedoch leider schon vor der Tür von einem Bein aufs andere trat, richtig aufstampfte auf dem Boden, und das so ungeduldig, als müsse er, das Luder, dringend aufs stille Örtchen) über alle Maßen teuer war. Es war das Manuskript von Nabokovs Erzählung „Sdjes goworjat po-russki“. Vater übersetzte sie dann in den darauffolgenden Tagen und, wie ich heute schon weiß, nicht sonderlich gut unter dem Titel „Hier wird russisch gesprochen“, womit jene Aufschrift an der Tür oder in der Auslage eines Ladens irgendwo in Berlin gemeint war, die einen russischen Emigranten oder russischen Touristen darauf hinwies, dass er sich hier in seiner Muttersprache verständigen konnte.
    Mich begeisterte diese Erzählung damals keineswegs, genauso wenig wie Nabokovs ganzer Besuch. Und es musste ein langer Strom von Jahren verfließen, bis ichbegriff, dass dieser Besuch und dieses Buch eigentlich für mich bestimmt gewesen waren. Und dass es das Geschenk der Geschenke gewesen ist!
    Aber greifen wir nicht vor. Benehmen wir uns nicht wie jener Tod, der schon ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt und auf dem Boden aufstampft.

LÁSK A FÄNGT MODRÁČEK
    Wenn ich die Polizeiwache in der Běhounská betrat, musste ich jedes Mal eine Prozedur über mich ergehen lassen, die einem rigiden Ritual in keiner Weise nachstand. Der Bulle, der in der Pförtnerstube Dienst schob, rief oben an und wartete, bis sie ihm bestätigten, dass ich bei ihnen eine Vorladung hatte. Und oben dauerte es, wie immer, eine Weile. Ich stand dort, wartete, und der Bulle widmete mir in dieser Zwischenzeit, die sich mitunter sehr in die Länge zog, keine Aufmerksamkeit, als hätte er völlig vergessen auf mich, aber wehe, ich hätte mich in irgendeine Richtung bewegt! Ich musste wie angegossen dastehen und konnte höchstens von einem Bein aufs andere treten und die Finger und Zehen bewegen. Dann endlich klingelte das Telefon, und von oben kam die Bestätigung, dass ich vorgeladen war. Der Bulle geleitete mich zum Aufzug, holte ihn herbei, öffnete die Tür und fuhr mit mir in die Etage, wo Láska schon neben dem Aufzug wartete. Der Bulle und Láska grüßten einander mit Čest práci! – Ehre der Arbeit!, und der Bulle übergab mich Láska. Was zwar schon ohne Worte abging, aber auch so zweifellos eine hochgradige dienstliche Handlung darstellte. Nachdem Láska mich übernommen hatte,führte er mich durch einen bis in Taillenhöhe mit glänzendem schwarzem Marmor verkleideten Gang. Unterwegs begegneten wir einem anderen Ermittler, das heißt zwei Ermittlern, die gerade meine Nachbarin, Frau Kratochvilová, aus dem Untersuchungsraum abführten und sie leicht stützten, jeder von seiner Seite. Jetzt sah ich deutlich, dass ihre Schwangerschaft schon weiter fortgeschritten war, und das war offensichtlich der Grund, warum sie sie in die Běhounská hatten kommen lassen, damit sie sich nicht mit diesem Bäuchlein bis zur großen Polizeiwache in der Leninova schleppen musste, die für sie ihrer Deliktskategorie nach, als Frau eines Emigranten, sonst zuständig gewesen wäre.
    Denn, soweit ich das richtig verstanden habe, und das denke ich schon, die Untersuchungsräume in der Běhounská dienen dem gewöhnlichen Polizeibetrieb, Verhören von Dieben, Gewalttätern und Verkehrsdelinquenten, während die Kommunisten nach ihrer Machtergreifung das große Gebäude der Direktion der tschechoslowakischen Staatsbahnen in der Leninova für ihr Ministerium des Kampfes mit dem Klassenfeind okkupiert haben. Bei mir und Frau Kratochvilová wurde

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