Das Versprechen des Architekten
offensichtlich eine Ausnahme gemacht, bei Frau Kratochvilová als Akt der Humanität, Ausdruck von Stasi-Rücksicht, bei mir hingegen vermutlich als Stasi-Ulk. Aber bestimmt auch deswegen, weil Láska dienstlich zur Běhounská gehörte (es gab dort eine kleine Dependance der Staatssicherheit) und aus irgendeinem Grund in polizeilicher Sympathie zu mir entbrannt war, was nach der Pädophilie und Nekrophilie die glühendste Leidenschaft auf der Welt ist.
Als wir, ich und Láska, an Frau Kratochvilová mit ihren zwei Ermittlern vorbeigingen, nickte ich ihr zum Gruß bloß mit dem Kopf zu, weil es mir unpassend vorkam, ihr ausgerechnet in diesen Räumen einen guten Tag zu wünschen, aber sie antwortete sowieso nicht, ich entging ihr, sie hatte beim Gehen nämlich den Kopf gesenkt, anscheinend ohne die eigenen Füße wahrzunehmen, sie stolperte über eine kleine Fliese, und die Ermittler mussten sie von beiden Seiten festhalten. Dafür grüßte Láska die zwei anderen Láskas wieder laut mit Čest práci, Genossen!, und beide antworteten Čest práci, Genosse!
Láska führte mich in sein Zimmer, setzte mich auf einen Stuhl, bot mir diesmal aber weder Kaffee noch eine Zigarette an, er ging gleich zum Fenster und stand dort und sah auf die Straße hinaus. Ich erwartete, dass es heute folglich nicht Zucker, sondern Peitsche geben würde. Aber obwohl ich glaubte, einigermaßen sogar auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, hatte ich mit dem, was folgte, mit dem, was er mir dann sagte, nicht einmal in meinen wüstesten Träumen gerechnet. Brutal traf er mich direkt an den empfindlichsten Stellen. Die schlimmste Alternative. Und dabei stand er die ganze Zeit dort neben dem Fenster, mit dem Rücken zu mir, und von dort sprach er. Nur für einen winzigen Moment kam mir in den Sinn, er würde mich wieder zum Narren halten und ich wäre ihm wieder auf den Leim gegangen. Aber dann befiel mich bereits Entsetzen, und ich saß da, gelähmt und in den ersten Augenblicken nicht einmal fähig zu atmen. Und ich weiß überhaupt nicht, wie lange das alles gedauert hat.
Ursprünglich war in Betracht gezogen worden, auch Sie festzunehmen, denn wie können wir sichergehen, dass nicht auch Sie irgendwie darin verwickelt sind. Aber am Ende war ich dagegen. Ich habe mich für Sie verbürgt, weil ich Sie, glaube ich, schon so weit kenne, um die Behauptung zu wagen, dass Sie die Tätigkeit Ihrer Schwester nicht billigen. Aber man kann sich selbstverständlich irren. Den Liebhaber Ihrer Schwester hatten wir ja, wie ich Ihnen anvertraute, für einen von uns gehalten, und siehe da, er versucht über die Grenze abzuhau’n und nimmt in einer Röhre ein zusammengerolltes Bild Ihrer Schwester mit und behauptet uns gegenüber, er hätte es dort irgendeiner Galerie anbieten wollen. Aber Ihre Schwester hat inzwischen schon gestanden, dass es kein Bild, sondern ein getarnter Plan der Brünner Waffenfabrik ist und dass überhaupt all ihre sogenannten abstrakten Bilder in Wirklichkeit Spionagepläne von Industrie- und Militärobjekten sind.
Schwerfällig, unter Aufbietung meines ganzen Willens, erhob ich mich: Seien Sie mir, bitte, nicht böse, aber ich weiß mit absoluter Sicherheit, ich verbürge mich dafür mit meinem Kopf, dass das keine Spionagepläne, sondern abstrakte Bilder sind.
Láska drehte sich vom Fenster weg und wies mich an, mich wieder zu setzen: Ach, Genosse Ingenieur, wissen Sie denn wirklich nicht, dass Sie nie mit dem Teufel um den eigenen Kopf wetten sollten? Jetzt stand er da, die Hände in den Hosentaschen, und musterte mich amüsiert, der ich zahlreiche Anzeichen von Schlaganfallsstupor zeigte. – Ich werde heute, sprach er, darüber hinweggehen, dass Siemich schon wieder belehren wollen. Also Sie können abstrakte Bilder von getarnten Plänen von Industrie- und Militärobjekten unterscheiden? Falls Sie tatsächlich diese seltene Fähigkeit haben, dann könnten Sie von großem Nutzen für uns sein. Übrigens bekommen Sie gleich die Gelegenheit, Ihre Nützlichkeit zu beweisen.
Und Láska begann augenblicklich seine Vorstellungen von meiner Nützlichkeit darzulegen. Ich konnte ihm nicht folgen, weil ich jetzt in aller Deutlichkeit mein Schwesterchen in einer Gefängniszelle sah, wie ich sie von den Originalholzstichen kannte, die die Vilímek- Verlagsausgabe des Romans „Der Graf von Monte Christo“ schmückten. Und ich war bereit, alles dafür zu tun, versteht ihr, absolut alles, nur um meiner Schwester irgendwie behilflich zu
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