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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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deutschen waren in merklicher Minorität, und sie betrafen lediglich uninteressante organisatorische Belange, wohingegen sie über Literatur russisch redeten und über das Essen, die Frauen und die Schmetterlinge französisch. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass ihre Sprache streng parzelliert war, weil beide eine Passion hatten für Ordnung, die in ihrer Art sich zu unterhalten jetzt davon beherrscht wurde, dass jeder Sphäre, jedem Bereich ihrer Konversation eine bestimmte Sprache zugewiesen war, in dieser Hinsicht sind die Sprachen streng spezifiziert. Gott hat jede von ihnen nur für ein einziges Gebiet menschlicher Tätigkeit oder menschlichen Interesses geschaffen, und nur dem fürchterlichen Chaos, das leider die Welt regiert, ist es zuzuschreiben, dass die Menschen jede dieser Sprachen halt mit Sack und Pack für alles verwenden.
    Jetzt sollte ich wohl mit allen suggestiven Details jenes abendliche Festmahl in unserer Wohnung in der Augustinergasse beschreiben, was mich allerdings, es ist peinlich, überfordert, denn eigentlich erinnere ich mich gar nicht daran, was es zum Abendessen gegeben hat, nicht an eine einzige Speise dieser zahllosen Gänge, sicher auch aus demGrund, weil ich das Französische nicht beherrsche, jene dem Essen, den Frauen und den Schmetterlingen zugehörige Sprache. Aber Pardon, ich korrigiere, ein Detail jenes festlichen Abendessens ist mir doch im Gedächtnis haften geblieben, auch wenn es nicht direkt die Speisen betrifft. Vater hatte für jenes Abendessen nämlich auch eine Serviererin engagiert. Ich bin mir zwar nicht mehr sicher, ob auch sie aus dem Hotel Slovan war, kann mich dafür aber lebhaft daran erinnern, das ließ sich einfach nicht vergessen, dass es sich eigentlich nur um eine Art Ersatz für eine echte Serviererin handelte, die zur damaligen Zeit überhaupt nicht aufzutreiben waren, allerdings was für ein Ersatz! Nicht dass Vater sich nicht echauffiert hätte, nur diese „Landpomeranze“ gefunden zu haben, ein Mädelchen von, so würde ich schätzen, ungefähr dreizehn Jahren: ein stumpfes Näschen, Sommersprossen im Gesicht und ein ins Violette gehender Fleck auf dem nackten Hals, wo sich vermutlich einmal ein Märchenvampir gütlich getan hatte. Und jetzt sind wir beim springenden Punkt. Wie kommt es, dass ich mich gerade daran so detailliert erinnere? Wie kommt es, dass ich ihr in grellen Farben koloriertes Bild über jenen Abgrund von Jahren, der mich heute von jenen noch idyllischen Zeiten trennt, hinübergerettet habe? Vielleicht, weil sie etwas schlicht Außergewöhnliches war und ich in ihrer Gegenwart zeitweise etwas wie Scham, nun, etwas an der Grenze zur Scham, empfand? Jenes überaus kindliche Geschöpf beherrschte bitteschön ja bereits alle weiblichen Finessen, hatte bereits das ganze weibliche Repertoire intus und scheute sich nicht, es uns, wenn auch nur in Andeutungen, vorzuführen.
    Und dabei hatte diese trügerische Zurschaustellung doch nichts zu tun damit, wofür sie hier engagiert worden war. Auch gleich erwähnen muss man in diesem Zusammenhang allerdings, dass es ihr perfektes Tischservice keineswegs störte, es war nur quasi eine Zugabe, und erst jetzt fällt mir ein – wenn ich im Aufblitzen der Erinnerung, wie auf einer durch eine elektrische Entladung für den Bruchteil einer Sekunde beleuchteten Bühne, vier wunderschöne Mädchenglieder ähnlich den Beinen eines zusammengekauerten Fohlens sehe –, erst jetzt fällt mir ein, dass diese „Landpomeranze“ all das möglicherweise unserem Gast zu Ehren spielte, als hätte sie ihm damit etwas Wichtiges sagen wollen, irgendeine für uns anderen unverständliche Botschaft.
    Wir unterhielten uns gerade über atonale Musik (an diesem Abend kauten wir absolut alles durch), über Schönberg und seinen Weg zur Dodekaphonie, als Nabokov unvermittelt mitten im Satz innehielt und mit der Gabel, in den Anblick der Serviererin versunken, im Zwischenraum stecken blieb, um nach ein paar Sekunden der Versonnenheit die Gabel wie auch das Messer einen Moment lang wegzulegen und sich schnell über das Gesicht zu fahren, als würde er sich auf diese Weise aus einer Art Trance reißen, als würde er damit etwas Ungebührliches wegwischen, und das Besteck dann wieder aufzunehmen und zugleich den unterbrochenen Satz zu beenden. Aber an jenen Satz, an seinen wesentlichen Teil nämlich, erinnere ich mich, obwohl das unglaubwürdig klingt, auch ganz gut. Als wäre damals in jenem außergewöhnlichen

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