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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Moment irgendein besonderer Konservie-rungsstoffzugegen gewesen, der jenen Satz für mich mumifizierte. Er wurde auf Deutsch gesagt, und ich beeile mich jetzt hinzuzufügen, dass es dem Deutschen auch oblag, von Musik zu reden, das war neben praktischen und organisatorischen Angelegenheiten des Alltags und, zugegebenermaßen, auch philosophischen Debatten ebenfalls seine Sphäre. Und siehe da, hier ist jener Satz in vollem Wortlaut und auf euren Wunsch und auf „des Hechtes Geheiß“ nicht in zwei Hälften zerschnitten:
Überzeugt, der Musikgeschichte mit seiner Zwölftonästhetik weite Perspektiven eröffnet zu haben, erklärte Arnold Schönberg, dass durch ihn die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre gesichert sei
.
    An der Ecke der Augustinská befindet sich ein Postamt, und das suchte Nabokov gleich am Morgen kurz auf, um an seine Mutter nach Prag ein Telegramm zu senden, mit dem Inhalt, dass er sie dort noch am selben Abend besuchen würde.
    Am Nachmittag unternahmen wir dann mit Nabokov eine kleine Stadtbesichtigung. Vor allem führte ich ihm anschaulich die architektonische und städtebauliche Annäherung von Wien und Brünn vor, ein Phänomen, von dem er theoretisch schon Kenntnis hatte, aber ich war der Meinung, er werde die Möglichkeit, die frischen Erlebnisse dieser beiden Städte miteinander zu konfrontieren, begrüßen. Obwohl mir Vater hinter Nabokovs Rücken durch sein Gebärden- und Mienenspiel bedeutete, es für unpassend zu halten, dass ich seinen Gast mit einem deutschen Vortrag über dieses Thema langweile,hielt ich ihn doch und versuchte Nabokov zu erklären, dass parallel zu Wien in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sich auch in Brünn der Wandel von einer geschlossenen und befestigten Stadt zu einer offenen vollzog. Die Stadtmauern verfielen, und auch die barocken Bastionen gingen kaputt und als Folge davon auch die Stadttore. Und danach brach bereits die Zeit der Ringstraße an.
    Vater trat erneut hinter Nabokovs Rücken, um mir von dort eines unserer alten Stammessignale zu senden, die Warnung: „Wenn du nicht augenblicklich aufhörst, dann wundere dich nicht, wenn ich dich ermorde!!“ Ich tat, als würde ich seine warnenden Gesten nicht sehen, und fuhr fort, in der Überzeugung, Nabokov sei schon Feuer und Flamme und lechze jetzt geradezu danach, so ausführlich wie möglich geschildert zu bekommen, wie das damals eigentlich gewesen ist, als in Brünn die Ringstraße eröffnet wurde.
    Und da standen wir gerade am Comeniusplatz, sodass ich wie ein Verkehrspolizist auf einer Kreuzung beide Arme ausstrecken konnte, um Nabokov auf diese Weise zu zeigen, von wo bis wohin die Verbindungslinie zwischen dem Obelisken in den Denis-Anlagen und der evangelischen Kirche führte, das heißt eine der kompositorisch wichtigen Achsen des Rings, die über den Elisabeth-, will heißen den heutigen Comeniusplatz verläuft und die Jošt-, zur Kaiserzeit Erzherzog-Eugen-Straße kreuzt.
    Und ich beeilte mich auch gleich zu betonen, dass das gesamte Brünner Ringstraßenprojekt tatsächlich dieVision der städtebaulichen Identifizierung Brünns mit Wien erfüllte, Urheber des Projekts war schließlich Ludwig Förster gewesen, der sich auch in bedeutsamer Weise am Wiener Ring, also an der
Ringstraße
, beteiligt hatte.
    Aber da war Vater bereits zutiefst davon angewidert, wie ich seinen Gast anödete und langweilte, doch würde ich darauf wetten, dass dabei auch Eifersucht eine Rolle gespielt hat. Es war eine der kostbarsten Begegnungen in seinem Leben, und noch dazu zeitlich so arg limitiert, und jetzt hatte ich von seinem Gast komplett Besitz ergriffen. Wie dem auch sei, er nahm wieder hinter Nabokovs Rücken Aufstellung und sandte mir ein weiteres uraltes Stammessignal zu (mein Gott, was sind wir denn für ein Stamm gewesen!), gestikulierte mir: „Also dafür werde ich dir in die Gurgel fahren und dir auf diesem Wege sämtliche Gedärme aus dem Bauch reißen!“ Und das galt in der Stammestradition schon als etwas weit Schlimmeres als eine Mordandrohung. Eigentlich wurde diese Warnung nur in absoluten Ausnahmefällen angewendet, eigentlich sollte sie lieber gar nicht zur Anwendung kommen. Sie war ja fast schon so etwas wie ein Stammesfluch. Aber da sie nun mal schon raus war, wäre es unverzeihlich gewesen, sie unbeachtet zu lassen. Und so bewegte ich nur meinen Kopf, wie bei einer leichten Verbeugung, als Zeichen, dass mein Vortrag zu Ende sei. Und warf Nabokov

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