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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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verstecken, das heißt vor jedem außer vor Daniel Kočí.
    Und Dan stand dort eine Weile in der Mitte des Raums und drehte sich ganz langsam um die eigene Achse und suchte nach etwas, das sich nicht irgendwie auffällig von allem rundherum abhob und dennoch aus dieser alltäglichen Frauenwelt hervorstach. Und schon hatte er es erblickt. An die Innenseite der Tür war mit Stecknadeln ein Plakat des Zirkus Belinda geheftet.
    Trotz dieses Namens war es ein tschechischer Zirkus. Das Bild eines Tigers, der durch einen Ring, das heißt durch einen vom Dompteur über seinem Kopf gehaltenen brennenden Ring, sprang, rief das Gefühl hervor, dass gerade die magische Exotik jener Szene der einzige Grund war, warum sich die Frau des Leiters vom Elektrohaus (lasst sie uns ab jetzt Belinda nennen nach jenem Zirkus, weil ihr wirklicher Name, ebenso wie der Name ihres Mannes, so unappetitlich ist, dass er euch den ganzen heutigen Tag verderben würde, und hier ist zu fragen, ob der Leiter vom Elektrohaus denn so geizig war, dass er nicht bereit war, die Matrikelgebühr für eine Namensänderungzu bezahlen, oder ob er so fanatisch an den Familientraditionen hing oder an diesem Namen vielleicht koprolalischen Gefallen gefunden hatte, und außerdem lasset uns jener Belinda, wenn sie schon die Frau des Leiters vom Elektrohaus ist, das Attribut „elektrisch“ beifügen), also warum sich die Elektrische Belinda dieses Plakat in ihr Zimmer gehängt hatte. Aber da traute sich Daniel schon zu, den wahren Grund zu wissen.
    Es war gewöhnlich nicht Dans Art, sofort auf den ersten Eindruck zu setzen, auf den ersten intuitiven Einfall, auch wenn er dann meistens davon überzeugt wurde, dass es fast immer jener erste Gedanke ist, dem man nachgehen muss. Also ließ er die Sache noch über Nacht abliegen, ließ sie durch seine Träume gehen und von ihnen abstempeln, und als er am Morgen erwachte, kletterte er vorsichtig über seine schlafende Partnerin hinweg, schaute aus dem Doppelfenster des Eckrisalits, mit einem Auge in den frischen Morgen der Josefsgasse und mit dem anderen in den noch frischeren der Adlergasse, stellte in der Küche dann Wasser für den Kaffee auf, und bevor das Wasser zu kochen begann, hatte er es geschafft, eine halbe Tafel Kochschokolade zu verschlingen, auf dem Gang grüßte er dann den pensionierten Offizier aus der Wohnung gegenüber (der band gerade seinem Kater, dessen er sich als eines kleinen Liebesboten bediente, eine erotische Botschaft in einem rosa Etui an den Hals und schickte ihn zwei Stockwerke höher) und lief dann die Treppe hinab, öffnete unten die Tür, die schwer wie eine Grabplatte war, und gelangte so auf die Gasse, durch die gerade der Müllwagenfuhr, und machte vor ihm, ja, vor dem Müllwagen, mit weit auseinandergestreckten Armen eine tiefe Verbeugung, was immer der Ausdruck glänzender Laune bei ihm war, bog um die Ecke und war bereits wieder im Fleischerladen in der Josefsgasse.
    Ich kann Ihnen den Urlaub ruhig geben, aber ist Ihnen bewusst, Mensch, dass Sie ihn sich dadurch ganz zerstückeln und Sie nichts mehr davon übrig haben werden, wenn die Fleischerbrigade der sozialistischen Arbeit nach Rügen fährt?
    Dan nickte, er habe verstanden, und ging nach hinten zu seinem Spind, Bleistift und Notizblock zu holen, und gleich darauf machte er sich auf die Socken, um noch durch die Straßen zu bummeln, weil schon alles in ihm brodelte, irgendwo zu stehen oder zu sitzen hätte er nicht mehr fertiggebracht, und der Telefondienst im Postamt stand erst ab neun Uhr zur Verfügung.
    Endlich hielt er das Prager Telefonbuch in der Hand und suchte sich die Nummer vom Büro der Direktion des Tschechoslowakischen Verbandes der Varietee- und Zirkuskünstler heraus. Und er machte sich daran, die Nummer zu wählen, und meldete sich als Vorsitzender des Kulturausschusses in der hiesigen Zweigstelle der Revolutionären Gewerkschaftsbewegung und interessierte sich für die Tournee des Zirkus Belinda, für die einzelnen Stationen. Er erfuhr, dass der Zirkus sich gerade jetzt in der Brünner Vorstadt befände, sie hätten am Ufer der Svratka, am Rand von Jundrov, Aufstellung genommen. Und anschließend ließ er sich noch sämtliche Termine aufzählen, an denen sich der Zirkus in der Brünner Vorstadt aufhaltenwürde, also im Frühling, Sommer und zu Herbstbeginn. Und er notierte sich diese Daten, schrieb sich diese Tage in seinen Block.
    Der Leiter vom Elektrohaus war nicht nur mit einem widerlichen und in einem

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