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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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uns, wenn du jetzt nicht die tragende Wand verstärkst, alles hier einstürzen wird …) spicken musste, auch einen unbestreitbaren Vorteil. Wenn er nämlich erst spät abends nach Hause zurückkehrte und halbausgezogen aufs Bett fiel und erst am Morgen zu sich kam, wenn schon wieder die Weckerglocke tobte, hatte er gar keine Zeit, sich mit Gedanken an sein Schwesterchen zu quälen, auch wenn er es selbstverständlich nicht schaffte, sie aus seinem Kopf zuverdrängen, und sie dann in allen möglichen und unmöglichen Formen und in den unglaublichsten Verkleidungen durch seine wahnsinnigen Träume rannte.
    Er war entschlossen, sich gleich an dem Tag, an dem sie ihn bei diesem Bau wenigstens für ein paar Stunden entbehren könnten, nach Prag aufzumachen. Aber dann kam alles ganz anders.
    Bevor er sich für die Reise nach Prag frei nehmen konnte, wurde er zu einem weiteren Verhör beordert. Und zum ersten Mal begrüßte er das wirklich: Das war’s, wonach er jetzt lechzte.
    Es überraschte ihn jedoch, dass sie ihn diesmal zur Dienststelle des Innenministeriums in der Leninova bestellt hatten und nicht in die Běhounská, wie bisher. Als er zwischen weiteren Adepten auf der langen Bank in dem schmalen Gang neben dem Aufzug saß, fiel ihm selbstverständlich ein, dass ihn hier nicht Leutnant Láska erwarten würde, sondern irgendein anderer Stasityp, dem sein Fall jetzt zugewiesen worden war. Weil es nach Eliškas Verhaftung schon wirklich ein Fall war und nicht wie vorher nur irgend so ein Spiel, in dem sie zur Stasi-Gaudi seine Nerven strapazierten und wahrscheinlich (möglicherweise zwecks irgendeiner ihrer statistischen Untersuchungen) testeten, was irgend so ein kleiner Bürger aushält.
    Aber diesmal ging auch alles ganz flott. Er kam vor allen anderen dran, die dort auf dieser Armen-Sünder-Bank saßen, weil sich kaum, dass er eingetroffen war und sich auf einen freien Platz am Rand gesetzt, und kaum, dass er es geschafft hatte, im Kopf einen mickrigenkleinen Gedanken auch nur ein Stück weit zu wälzen, bereits die Aufzugtür öffnete und ihn jemand abholte und hinaufbrachte, und dort, im zweiten Stock, in der Tür des Untersuchungsraums übergab dieser ihn an jemand anderen.
    Setzen Sie sich, sagte der Stasireferent, und ohne sich Modráček vorzustellen und mit Eröffnungsritualen Zeit zu verlieren, kam er gleich zur Sache. Aber es ging nicht um ein Verhör, sondern um eine Mitteilung.
    Und nachdem er sie Modráček zur Kenntnis gebracht hatte, hatte Modráček zuerst das Gefühl, ihn überhaupt nicht verstanden zu haben. Sogar diesem anonymen Stasitypen, der bloß zur Überbringung der Mitteilung bestimmt war, der also eigentlich nur irgendein namenloser Zusteller war, war augenblicklich klar, dass er die Mitteilung noch einmal wiederholen müsse. Also tat er es:
    Sie hat sich in der Zelle erhängt. Sie dürfen die Sachen, die sie hinterlassen hat, in Empfang nehmen und sie in der Art, die Ihren Gepflogenheiten entspricht, begraben. Die hinterlassenen Sachen werden Ihnen gegen Unterschrift gleich hier unten in der Pförtnerloge ausgehändigt, aber die Villa, in der sie gewohnt hat, fällt inklusive der kompletten Ausstattung dem Staat anheim, und ihr gegenwärtiger Mieter wird entscheiden, was Ihnen von der Ausstattung eventuell übergeben wird und in welcher Weise. Wir sind dazu verpflichtet, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie die Räumlichkeit der Villa nie mehr betreten dürfen, andernfalls Sie sich strafrechtlicher Verfolgung aussetzen.
    An der Pforte unten erwartete Modráček ein Schuhkarton und in ihm ein paar Kleinigkeiten: Socken,Taschentücher und ein Päckchen Watte, die damals statt Damenbinden verwendet wurde.
    Der Sarg war versiegelt, und Modráček durfte seine Schwester nicht mehr sehen. Nach der Seelenmesse und der katholischen Begräbniszeremonie (weder er noch seine Schwester waren gläubig gewesen, aber Modráček fühlte, wusste, dass er irgendetwas tun musste, das all das, was geschehen war, auf irgendeine Weise überlagern würde) nahm sich der Architekt Urlaub, ohne im Geringsten darauf Rücksicht zu nehmen, ob er noch vonnöten war am Bau, und als seine Frau versuchte, ihm etwas zu sagen, als sie ihm bei allem, was jetzt vor sich ging, behilflich sein wollte, hörte er sie noch weniger als sonst, sofern das überhaupt noch möglich war. Und als sie die Hand ausstreckte und sanft seinen Arm berührte, entfernte er die Hand von seinem Anzug wie ein Staubkorn und eilte schon zu jenem

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