Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
Vom Netzwerk:
seineBeschattung der Familie Kratochvil, aber Láska war plötzlich unerreichbar, unauffindbar, uneinnehmbar, fast so, als hätte er nie existiert. Ach ja, ach nein, hat es überhaupt je einen Leutnant Láska gegeben?
    Modráček verfiel in frenetische Hektik, wie er sie bisher im Leben nicht gekannt hatte. Auch wenn er gewusst hatte, dass er seine Schwester über alle Maßen liebte und dass ihm enorm viel an ihr lag, hatte er nicht geahnt, was für eine fatale Kraft diese Geschwisterliebe in seinem Leben darstellte.
    Er versuchte sich daran zu erinnern, wen er in Prag kannte, an wen er sich wenden könnte, damit er dort im Innenministerium dieses blöde Formular für ihn abhole. In Prag wohnten ein Mitschüler und zwei Mitschülerinnen von ihm. Von den Mitschülerinnen hatte er vor einiger Zeit Hochzeitsanzeigen erhalten. Nach Prag zu den Hochzeiten gefahren war er nicht, er hatte ihnen nur telegrafisch gratuliert. Beide waren früher einmal prima Freundinnen von ihm gewesen, er hatte mit ihnen alles erfahren, was sich aus so einer Freundschaft schöpfen lässt, und eigentlich ist es heute für ihn absolut unerklärlich, warum er nicht eine von ihnen geehelicht hat anstelle seiner jetzigen Frau, die so ausdruckslos und unauffällig ist, dass er sich ihrer Existenz an seiner Seite vielleicht gar nicht mehr bewusst ist. Obwohl er weiterhin beabsichtigte, mit ihr einmal Kinder zu haben, hatte er vor einiger Zeit aufgehört mit ihr zu schlafen und war aus dem gemeinsamen Schlafzimmer mit dem Fenster zum Hof ins Nebenzimmer gezogen, in sein Atelier mit dem Fenster auf die Běhounská. Sie war schlicht und einfach durchsichtiggeworden für ihn, sodass er aufgehört hatte, sie zu sehen, und eine stofflichere Konsistenz – war ihm bewusst– konnte sie einzig und allein dann wieder gewinnen, wenn es zu einem bösen Konflikt zwischen ihnen käme. Aber dem gingen beide sorgfältig aus dem Weg. Wir werden jedoch, wenn die Zeit reif ist, Zeugen dessen sein, dass es zu dieser Materialisation doch noch kommen wird. Aber jetzt zurück zu den Mitschülerinnen.
    Bestimmt wären sie ihm jetzt entgegengekommen, es waren ja tatsächlich fantastische Mädchen, aber er hatte jene Heiratsanzeigen schon längst weggeschmissen und ihre neuen Namen und Prager Adressen verschwitzt, weil er meinte, sie hätten sich durch jene Hochzeiten, diese Ehen für immer von ihm abgenabelt, auf die Idee, dass sie ihm irgendwann noch mal von Nutzen sein könnten, war er nicht gekommen. Blieb der Mitschüler. Eigentlich aber auch wieder nicht, weil der gänzlich ungeeignet war. Er konnte sich lebhaft daran erinnern, wie schon sein Name sie in der Schule belustigt hatte. Bachař! Also nichts wie weg von einem, der Gefängniswärter heißt.
    Und die selbstverständlichste Möglichkeit? Selber nach Prag zu fahren! Es war aus vielen Gründen ja auch die günstigste Möglichkeit. Nicht nur, dass er das Formular abholen würde, sondern er könnte es auch sofort ausfüllen und einreichen, und sofern Eliška in irgendeinem Prager Zuchthaus säße, könnte er sie zum Beispiel auch gleich besuchen. Gewiss, aus vielerlei Gründen die günstigste Möglichkeit, aber aus einem, dem entscheidenden, leider unmöglich. Und sogar so unmöglich, dass sie überhaupt, aber auch gar nicht infrage kam.
    Die Bauarbeiten in der Botanická ulice erreichten nämlich gerade ihren Höhepunkt, und daher war es völlig ausgeschlossen, dass er sich in diesen Tagen aus dem Staub machte. Der Bau des ersten großen Brünner sozialistischen Koldom, also Kollektivhauses, sollte ein Geschenk der Bauleute zu irgendeinem Proletarierjahrestag sein und steckte daher im Korsett sozialistischer Verpflichtungen, und es bestand die Gefahr, dass in diesem fieberhaften Tempo etwas Wichtiges vernachlässigt wurde, und aus diesen Gründen musste nicht nur der Baumeister, sondern auch der Architekt darüber wachen, dass ihnen am Ende nicht alles wie ein Kartenhaus zusammenstürzte. Er konnte es sich einfach nicht erlauben, in diesen Tagen die Fliege zu machen, wenn er sich sein Kaderurteil nicht noch mehr besudeln wollte, was ja auch sein Schwesterchen noch mehr gefährdet hätte. Andererseits aber hatte der Umstand, dass er jetzt täglich so zeitig am Morgen aufstehen und als Erster am Bau sein und dauernd mit jedem Kretin, den Baumeister inbegriffen, verhandeln und ihn anbrüllen und die obligatorische Anrede „Genosse“ mit Tiertiteln (… du Baumeisterschwein, siehst du denn nicht, du Rindvieh, dass

Weitere Kostenlose Bücher