Das Versprechen des Architekten
keine Zeit dafür gewesen, aber ich hatte ernsthaft die Notwendigkeit in Betracht gezogen, früher oder später mit einem Schriftsteller Kontakt aufnehmen zu müssen, den ich noch aus alten Zeiten kannte. Und genau ihm diese Fragen zu stellen. Irgendwann, es liegt weit zurück, war ich bei einer vorweihnachtlichen Autogrammstunde gewesen, und jetzt zog ich das damals präsentierte Buch „Geschichten eines klugen Dachses“ aus meinem Bücherregal und fand seine Visitenkarte darin. Er sollte eigentlich ein Experte dafür sein, was mich jetzt quälte und bedrückte. Er sollte die Frage beantworten können: Ist es überhaupt möglich, eine erfundene und zu Papier gebrachte Geschichte über den zwischen Fiktion und Wirklichkeit gähnenden Abgrund hinüberzuführen? Der Witz liegt natürlich darin, dass ich bei unserem Gespräch aufpassen muss, nicht etwas aus gerade dieser Wirklichkeit zu verraten. Es muss eine bloß akademische Unterhaltung werden. Das bedeutet, ihn irgendwohin auf ein Abendessen einzuladen (zum Beispiel ins Stopek?) und dann irgendwie unauffällig das Gespräch darauf zu bringen, dabei jedoch genau die Grenze zu kennen, die ich nicht überschreiten darf, und genau hier, an dieser Grenze einzuhalten. Ich will dieses Treffen nicht hinausschieben, im Moment allerdings belasteten mich weit mehr kleinere praktische Angelegenheiten.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, meine imaginären Richter, was für eine Bürde ich mir auflud, indem ich mich selber zum Richter ernannte. Ich konnte den Bau der Zwischenwände in den unterirdischen Räumen nicht allzu lange hinauszögern. Es sieht zwar nicht danach aus, dass Láska an einer Lungenentzündung erkrankt wäre, wie ich es befürchtet hatte, aber das unlösbare Problem mit etwaigen Erkrankungen würde hier ständig bestehen. Obwohl man an seiner Arbeitsstätte sicher eine Krankenversicherung für ihn eingezahlt hatte und obwohl die sozialistische Verfassung kostenlose ärztliche Betreuung gewährleistet, können wir uns hier und jetzt einigermaßen schwer darauf berufen. Er kann mir an den banalsten Wehwehchen abkratzen. Schon jetzt habe ich das Gefühl, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist. Geschnappt habe ich ihn mir zwar ohne sichtbare körperliche Beeinträchtigungen, aber … Eins ist klar, ich muss ihn jetzt täglich kontrollieren, und es ist höchste Zeit, die ersten Schritte zu unternehmen für die Bauarbeiten in diesem gotischen Untergrund. Und das bedeutet, sorgfältig zu kalkulieren, wie die einzelnen Bauphasen sicherzustellen sind, ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen.
Meine unsichtbare Frau habe ich vorderhand in nichts eingeweiht, obwohl ich das mit der Zeit bestimmt nicht vermeiden kann. Jetzt weiß ich schon von Stunde zu Stunde mit immer größerer Gewissheit, dass das Ganze ein größerer Brocken ist, als ich ihn schlucken kann. Ausspucken kann ich ihn aber nicht mehr.
Wenn ich abends daliege und mich bemühe einzuschlafen, taucht jetzt oft Leutnant Láskas Bild vor meinen Augen auf, wie auch er daliegt, tief, tief unter mir auf dem Sofa in dem vergoldeten Käfig, und wie er durch die Gitter in das Tonnengewölbe aus Bruchstein schaut und den Zettel („Leutnant Láska“) in der Hand hält. Und in diesen unguten Stunden, bevor ich zum Beispiel irgendein Barbiturat einnehme, drehe ich mich auf den Bauch und blicke durch die Matratze und den Drahteinsatz meines Bettes und durch drei Wohnungsdecken sowie eine Keller- und eine Höhlendecke hinunter, bis in die Augen von Leutnant Láska. Und seine wahnsinnigen Augen – habe ich euch schon erzählt, dass mit ihm, nachdem ich ihn mit zwei Hammerschlägen auf seine Birne geschnappt hatte, etwas passiert ist? – kommen mir jetzt wie zwei in die Pfanne geschlagene Eier vor.
Morgens, bevor ich zur Arbeit gehe, bringe ich Láska ein ordentliches Frühstück. Ihr wollt wissen, was der Mörder meiner Schwester zum Frühstück isst? Ich weiß nicht, was er in seinem bisherigen Leben gefrühstückt hat, aber jetzt bekommt er eine reichhaltige und zugleich gesunde Kost. Es ist in meinem eigenen Interesse, nämlich im Interesse eines zuverlässigen Strafvollzugs. Also ein mit Marmelade bestrichenes Brot, ein ordentliches Stück Pferdesalami (alle hier leben wir in diesen ersten Jahren des Aufbaus des Sozialismus vor allem von Pferdefleisch, das zufälligerweise das gesündeste Fleisch ist), ferner Kaffeeersatz der besten Qualität (wie wir ihn hier alle in der Arbeit trinken) und stets auch noch einen
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