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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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sich gern an diese Kindheit. Sie haben ja gerade von dort das mitbekommen, was Sie dann durch die Klippen des Lebens bis in das Amt begleitet hat, in dem Sie heute teilhaben am Schicksal Ihres Landes: jenes revolutionäre Flämmchen der ewigen Jugend der Welt.
    Ich werde am Morgen nicht kommen, nach der Nachtschicht fahre ich gleich nach Prag, teilen Sie Ihrer Frau zwischen Tür und Angel mit. Pass auf dich auf!
    In Ihrem Amt wird auf Ihr Geheiß hin wie früher mancherorts in der Fabrik in zwei Zwölfstundenschichten gearbeitet. Und weil Sie sich bemühen, Ihren Untergebenen in allem ein Vorbild zu sein, wechseln Sie sich selber im Rhythmus von zwei Arbeitsschichten ab.
    Auf der Türschwelle spannen Sie den Regenschirm auf und stoßen gleich einen Fluch aus, als ein vorbeifahrender V3S-Militärlaster Sie anspritzt. Wenn Sie auch nur ein klein wenig wollten, könnte ein Diensttatraplan Sie abholen, aber Sie ziehen entschieden vor, mit der Straßenbahnzur Arbeit zu fahren. Sie fühlen sich auch weiterhin als einer von ihnen, ein Arbeiter, den die Vorhut der Arbeiterklasse vorübergehend zu anderen Aufgaben berufen hat. Es gilt immer noch, dass Sie jede Art Werkzeug in die Hand nehmen können, und wenn Sie dann Ihre Handflächen nach oben drehen, können Sie immer noch mit Stolz sagen, da schaut her, schaut euch das an, das sind meine zwei Parteiausweise! Wenn Sie dann am Konsulat vorbeigehen, werfen Sie einen Blick auf den geräumigen Balkon auf toskanischen Säulen, wo er oft steht zu dieser Stunde, Walentin Petrowitsch steht dort mit der ersten Abendzigarette und betrachtet leicht spleenig oder vielleicht eher melancholisch das Abendrot über Brünn, aber jetzt hebt er die Hand samt jener Zigarette, um Sie zu grüßen. Wie schon gesagt, Sie besuchen einander regelmäßig, aber auch so wissen Sie mit gottgleicher Sicherheit, dass es, sollten Sie einander monatelang nicht sehen, nichts, aber schon gar nichts an der Tatsache ändern würde, dass Sie auch mit dem Konsul tief verbunden sind, genauso wie mit diesem herrlichen Kastanienbaum in Ihrem Garten.
    Als Sie am Freiheitsplatz aus der Straßenbahn steigen, regnet es nicht mehr, aber erst, als Sie an der Ecke der Běhounská die nächtliche Müllabfuhr sehen – auch sie arbeitet im Schichtbetrieb, aber diese Kerle torkeln wie betrunken herum, und eine Mülltonne ist ihnen entglitten, kollert dahin und hat sich geöffnet, ihr Inhalt läuft Ihnen jetzt entgegen –, erst während der Begegnung mit diesen Saufbrüdern, gestehen Sie sich ein, dass Sie von dem Augenblick an, als Sie heute die Augen geöffnethaben, eine böse Vorahnung plagt. Aber das ist erklärbar damit, dass Sie heute der Monatsbericht erwartet und mit ihm die bislang ungelöste Angelegenheit mit Leutnant Láska, der wohl schlimmste Albtraum Ihres Lebens. Wütend treten Sie gegen eine leere Pastetenkonserve, dass sie in einem mächtigen Bogen bis in die Höhe des zweiten Stocks hinauffliegt und die beiden Müllmänner bewundernd pfeifen. Sie drehen sich um und wollen sie anbrüllen, schlucken es dann aber hinunter, sodass Ihr Adamsapfel zu hüpfen anfängt, und zeigen nur auf die Sauerei direkt vor dem SNB-Posten und verschwinden im Tor.
    Als Sie in Ihr Arbeitszimmer hineinplatzen, spitzt Hauptmann Nešť gerade Bleistifte. Er dreht an der Kurbel des an den Schreibtisch montierten Geräts und hebt jetzt den Kopf zu seinem Vorgesetzten: Herzlich willkommen, Ivan! Er ist hier der Einzige, der Sie so familiär ansprechen darf. Nešť bildet mit Ihnen nämlich das, was sie in der Prager Zentrale „Duos“ nennen. Aber das muss ich Ihnen nicht in Erinnerung rufen, das Duoprinzip ist Ihnen verständlich. Sowohl von Polizisten als auch Geheimpolizisten gibt es in jeder Dienststelle immer eine gerade Zahl, und sobald einer von ihnen, auf welche Art auch immer, das Zeitliche segnet, wird der Gesamtbestand immer um einen aufgefüllt beziehungsweise umgekehrt um einen verringert, damit die gerade Anzahl, sprich der Bestand an Polizistenpaaren gewahrt bleibt. Und die Duos stehen sich in gewisser Weise näher als zum Beispiel eineiige Zwillinge. Nicht nur, dass sie sich gegenseitig überwachen, für einander verantwortlich sind, hängen sie auchenorm aneinander, bildlich gesprochen könnte man sagen, dass sie einander zugleich würgen und zugleich liebevoll segnen.
    Hauptmann Nešť hat die spiralförmigen Bleistiftschnitzel eingesammelt und sieht Sie, die Kringel wie feine Täubchenfedern in der Wiege seiner Hand

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