Das Versprechen des Architekten
Teller mit etwas Warmem, das ich vom Abendessen aufspare, geradegestern zum Beispiel Beuschel. Und einen Krug mit frischem Wasser natürlich. Damit muss er auskommen, bis ich nachmittags aus dem Büro zurückkomme. Und in eine Käfigecke habe ich ihm einen alten Kübel getan, zugedeckt mit Pappendeckel, und dazu zerrissene Zeitungen zum Hinternauswischen. Was auch immer mit ihm geschehen sein mag, auf die Grundhygiene achtet er. Fürs Erste entsorge ich alles in einem riesigen Eisenfass, das hier ebenfalls von den Deutschen zurückgeblieben ist. Aber mit der Zeit werde ich irgendeine Lösung finden müssen. Genauso wie für eine Menge anderer Dinge.
Nach Gesprächen mit ihm dürste ich nicht. Ich bin sogar unschlüssig, wie ich es überhaupt mit ihm angehen soll. Weder die Anklage noch eine Verteidigung und die dazugehörigen Erfordernisse habe ich zusammengeschrieben. Kaum hatte er mich am ersten Morgen (nach dem Tag, an dem ich ihn geschnappt hatte) erblickt, wie ich mich mit einem Kabel hereinschleppte (ich hängte ihm dort an einem der Haken, an denen in den guten alten Zeiten Keulen, Speckseiten und Wurstkränze zu hängen pflegten, eine an meinen Stromzähler im Kellerabteil angeschlossene Grubenlampe auf, denn das Recht auf Licht gedachte ich ihm nicht vorzuenthalten, obwohl ich nicht weiß, ob es meiner Schwester nicht vorenthalten wurde), kaum also hatte er mich erblickt, stützte er sich auf dem Sofa auf den Ellbogen und verblüffte mich damit, dass er mich mit einem Lächeln begrüßte:
Endlich Licht, Mensch! Ich hab’ schon befürchtet, wir werden’s hier wie bei den Luftangriffen haben. Setzen Sie sich, damit Sie uns nicht den Schlaf hinaustragen!
Hat ihn das echt so gezeichnet, wie ich ihn mir während jenes tobenden Sturms mit dem Hammer einfing? Oder spielt er mir nur was vor? Wäre er fähig dazu? Oder steckt was in ihm, das ihm selber was vorspielt? Mich jedenfalls wird das allerdings nicht dazu bewegen, meine Haltung ihm gegenüber zu ändern.
Während Leutnant Láska dort bequem daliegt, in Decken und Pelze gehüllt und auf einem breiten Sofa und in einem großen vergoldeten Käfig, liegt meine Schwester vier Meter unter der Erde in einem engen Sarg, den ich nicht öffnen durfte. In bösen Träumen sehe ich, was ich gesehen hätte, wenn ich ihn geöffnet hätte. Das verspreche ich dir, Schwesterchen, dass, solange ich am Leben bin, Láska lebend von hier nicht weggehen wird. Und jetzt ruhe sanft,
Goodnight My Love
.
Nach den Barbituraten schlafe ich stets ohne Träume, als hätte sich zwischen mich und diese schmerzliche Welt ein Vorhang geschoben.
EINE NACHT AUS DEM LEBEN DES IVAN SLUKA
Soeben geht ein verregneter Hochsommertag des Jahres 1952 zu Ende. Sie stehen am Fenster, in der einen Hand eine Tasse, in der anderen ein frisches Hörnchen. Ach, freilich, davon haben wir noch nicht gesprochen: Sie wohnen in Pisárky, in unmittelbarer Nachbarschaft der klassizistischen Hecht-Villa, die jetzt Eigentum des sowjetischen Konsulats ist. Das sympathische Häuschen mit einem geräumigen Garten wurde Ihnen ja deswegen zugeteilt, damit Sie und der Konsul einander öfter besuchen können. Der Garten ist mit Obstbäumen bepflanzt, Apfel-, Birn-, Kirsch- und Zwetschkenbäumen, dazwischen stehen zur Abwechslung aber auch Kastanien. Für Sie als in die Stadt verpflanzten Landmenschen ist dieser Garten ein Muss, damit Sie freier atmen können.
Nun, in der einen Hand die Tasse, in der anderen ein frisches Hörnchen. Auch die nahe Bäckerei verdankt ihren Standort dem sowjetischen Konsul, der zu jeder Tageszeit Wert legt auf frische, knusprige Hörnchen und noch warme Krapfen. Sie schlürfen heißen Kaffee und schauen auf den herrlichen Kastanienbaum in Ihrem Garten, einen weit verzweigten und dicht belaubten Baum,mit dessen Lebenskraft Sie sich tief verbunden fühlen. Sogar so tief, dass Sie sich sagen, dass dort drinnen, in diesem gewaltigen, schon runzeligen Stamm, vielleicht Ihr wahres Herz schlägt und das, welches Sie in der eigenen Brust spüren, nur sein treues Echo ist. Und wie immer, in diesem kostbaren Moment, in dem niemand Sie stören darf, sind Sie jetzt weit weg von hier, in einem kleinen Dorf auf der Vysočina, in Křemelí, und Bilder steigen in Ihnen hoch. Ihre Eltern, ein Waldarbeiter und eine gelegentlich beschäftigte Handschuhmacherin, litten Not in einem Landstrich, in dem sich Jahr für Jahr der Frühling verspätete, als käme er überhaupt nie mehr. Und trotzdem erinnern Sie
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