Das Versprechen Des Himmels
schwingenden Kraft für ein magisches Licht verwendet, aber das blaue Flackern zeigt ihm nur die gleiche leere Oberfläche, die auch schon seine Finger fanden. Ohne eine Möglichkeit, seine Kraft zu erneuern, wagt er keinen weiteren Versuch. Er würde nicht verdursten oder ersticken, aber wie lange kann er ohne Nahrung überleben? Wenn er keine Energie verbraucht und seine Körperfunktionen durch Trance reduziert, kann er seine Existenz verlängern. Aber wozu, wenn er am Ende doch verhungern muß?
Wenn er sich nur an das Siegel an der Außenseite der Tür erinnern könnte!
In jener Nacht war es nur wichtig für ihn gewesen, in das Gewölbe zu gelangen - und er war sich so sicher, daß ihm sein Meister unmittelbar folgte...
Darios atmet tief und zitternd und zwingt sich wieder zur Ruhe. Sind alle Magier in Freistatt tot? Er versucht, sich seines inneren Auges zu bedienen, aber die nötigen Weihungen dafür waren ihm noch nicht zuteil geworden. Alles, was er sieht, ist Rhians Antlitz, graue Augen, klar wie Regenwasser, rostrotes Haar, in dem das Feuer der untergehenden Sonne leuchtet...
Werde ich bestraft, weil ich sie betrogen habe? fragt sich Darios. Es war nur ein kleiner Zauber, ein wenig Glanz, um ihren Blick auf mich zu lenken! Er war Student, und er sah auch so aus - die Schultern ein wenig krumm vom Beugen über zu viele Bücher, der Bauch merklich gerundet, wenn er auch glaubte, daß sich dieser inzwischen nach innen wölbte. Wie konnte einer wie er, ein blasser Stubenhocker, mit den muskulösen, braungebrannten Männern der Palastwache konkurrieren? Er aber besaß Fähigkeiten, von denen ein Soldat nicht träumen konnte, und es war nur ein kleiner Zauberspruch gewesen, der ihn ein wenig größer, seine Schultern ein wenig breiter gemacht und seinen dunklen Augen einen geheimnisvollen Funken verliehen hatte.
Und der Erfolg gab ihm recht! Rhian hatte ihm ihre Liebe geschenkt.
O mein süßes Mädchen! Sein Herz ist voll Sehnsucht. Wo bist du jetzt? Bist du am Leben? Denkst du noch an mich? Ihre strahlenden Augen halten seine Furcht in Schach. Mit ihrem Bild vor seinem inneren Auge zwingt sich Darios zurück in den Halbschlaf, der es ihm ermöglicht, einen weiteren Tag zu überleben.
»Papa - ich habe Rhian mitgebracht - damit du sie kennenlernst...«
Wedemirs Stimme war laut und betont heiter, wie die Stimme aller, die in letzter Zeit das Wort an Lalo richteten. Dachten sie, er merke das nicht? Er vernahm das Rascheln seidener Röcke und wandte den Kopf der Quelle des Geräusches zu. Wie sah sie aus, die junge Dame, in die sich sein ältester Sohn verliebt hatte?
»Ich bin sehr erfreut, Euch kennenzulernen.«
Ihre Stimme klang gedämpft. Lalo fragte sich, ob seine Blindheit sie verlegen machte oder ob eigener Kummer sie quälte. Selbst die Privilegierten im Palast hatten in diesen Jahren Anlaß zur Sorge.
»Du bist im Dienst der Beysiber?« fragte er, um erneut ihre Stimme zu hören. Seide knisterte, als habe sie mit den Schultern gezuckt.
»Der Prinz möchte, daß unser Volk und ihres sich näherkommen. Ich war froh, daß ich diese Stellung bekommen konnte. Mein Vater brachte seine Familie hierher, als der Prinz Statthalter wurde, aber meine Eltern waren nach Ranke gereist, als der Kaiser - fiel.«
Lalo dachte, daß ihre Worte eher wehmütig denn bitter klangen. Ihre Stimme verriet Klugheit und Wärme. Was für ein Gesicht paßte wohl dazu? Er stellte sich klar geschnittene Züge vor, leuchtende Augen und Haare von warmer Farbe - wie Zimt vielleicht.
Er hörte Wedemir im anderen Zimmer mit seiner Mutter sprechen.
»Man berichtete mir, daß mein Sohn dich umwirbt«, sagte Lalo. Einen Augenblick lang erwiderte Rhian nichts, als sähe sie sich um, um festzustellen, ob noch jemand, außer Lalo, sie hören konnte.
»Wedemir ist ein guter Mann«, begann sie langsam, »aber...« Plötzlich erschien ihm ihr rankankischer Akzent ausgeprägter als zuvor.
»Aber er ist ein Ilsiger und ein Mann aus dem einfachen Volk!« Lalo versuchte, die Bitterkeit zu unterdrücken, die er längst vergessen geglaubt hatte.
»O nein, das ist es nicht!« erwiderte Rhian rasch. »Das alles hat doch nun keine Bedeutung mehr. Aber ehe ich Wedemir traf, hatte ich mich schon versprochen an.«
»An einen Magierlehrling.«, erinnerte sich Lalo. »Wedemir erwähnte es. Hast du ihn so sehr geliebt?« Er hielt inne und fragte sich, warum er sie so schonungslos befragte. Antwortete sie freimütig, weil sie nicht befürchten mußte,
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