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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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war er denn?« fragte ich.
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    »Wie ein Berg«, antwortete das Mädchen, »und ganz schwarz.«
    »Und hat dieser - Riese - dem Gritli etwas geschenkt?« fragte ich.
    »Ja«, sagte das Mädchen.
    »Was denn?«
    «Kleine Igel.«
    »Igel? Was willst du jetzt wieder damit sagen, Ursula?« fragte ich ratlos.
    »Der ganze Riese war voll kleiner Igel«, behauptete das Mädchen.
    »Das ist doch Unsinn, Ursula«, widersprach ich, »ein Riese hat doch keine Igel!«
    »Es war eben ein Igelriese.«
    Das Mädchen blieb dabei. Ich ging zum Pult der Lehrerin zurück.
    »Sie haben recht«, sagte ich, »das Gritli scheint wirklich viel Phantasie gehabt zu haben, Fräulein Krumm.«
    »Es war ein poetisches Kind«, antwortete die Lehrerin und schaute mit ihren traurigen Augen irgendwohin. »Ich sollte jetzt den Choral weiterüben. Für die Beerdigung morgen. Die Kinder singen ungenügend.«
    Sie gab den Ton an.
    »So nimm denn meine Hände und führe mich«, sangen die Kinder aufs neue.
    Auch die Befragung der Mägendorfer im »Hirschen« - wo wir Henzi ablösten - ergab nichts Neues, und gegen Abend fuhren wir ebenso ergebnislos, wie wir gekommen waren, nach Zürich zurück. Schweigend. Ich hatte zuviel geraucht und Roten aus der Gegend getrunken. Sie kennen ja diese leicht dubiosen Weine. Auch Matthäi saß düster neben mir im Hintergrund des Wagens, und erst als wir gegen den Römerhof hinunterkamen, begann er zu sprechen.
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    »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß der Mörder ein Mägendorfer ist. Es muß sich um den gleichen Täter wie im Kanton Sankt Gallen und im Kanton Schwyz handeln; der Mord hat sich auf die gleiche Weise abgespielt. Ich halte es für wahrscheinlich, daß der Mann von Zürich aus operiert.«
    »Möglich«, antwortete ich.
    »Es wird sich um einen Automobilisten handeln, vielleicht um einen Reisenden. Der Bauer Gerber hat ja einen Wagen gesehen, der im Walde parkte.«
    »Den Gerber habe ich mir heute persönlich vorgenommen«, erklärte ich. »Er gestand, er habe eigentlich zu fest geschlafen, um etwas bemerken zu können.«
    Wir schwiegen aufs neue.
    »Es tut mir leid, daß ich Sie mitten in einem unaufgeklärten Fall verlassen muß«, begann er dann mit etwas unsicherer Stimme,
    »aber den Vertrag mit der jordanischen Regierung muß ich einhalten.«
    »Sie fliegen morgen?« fragte ich.
    »Um drei Uhr nachmittags«, antwortete er, »über Athen.«
    »Ich beneide Sie, Matthäi«, sagte ich, und es war mir ernst.
    »Ich wäre auch lieber Polizeichef bei den Arabern als hier in Zürich.«
    Dann setzte ich ihn beim Hotel Urban ab, wo er seit Jahr und Tag wohnte, und ging in die »Kronenhalle«, in der ich unter dem Bilde von Miró aß. Mein Platz. Ich sitze immer dort und esse »ab voiture«.
    Als ich jedoch gegen zehn noch einmal in die Kasernenstraße ging und dabei an Matthäis ehemaligem Büro vorbeikam, traf ich Henzi im Korridor. Er hatte Mägendorf schon mittags verlassen, und ich hatte mich eigentlich darüber gewundert, doch da ich ihm den Mordfall nun einmal übertragen hatte, war es mein Prinzip, ihm nicht am Zeuge zu flicken. Henzi war ein Berner, ehrgeizig, aber beliebt bei der Mannschaft. Er hatte eine Hottinger geheiratet, war von der sozialistischen Partei zu den Liberalen übergetreten und auf dem besten Wege, Karriere
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    zu machen. Dies will ich nur am Rande erwähnen; jetzt ist er bei den Unabhängigen.
    »Der Kerl will immer noch nicht gestehen«, sagte er.
    »Wer?« fragte ich verwundert und blieb stehen. »Wer will nicht gestehen?«
    »Von Gunten.«
    Ich stutzte. »Dauerverhör?«
    »Schon den ganzen Nachmittag«, sagte Henzi, »und diese Nacht machen wir durch, wenn es sein muß. Nun behandelt ihn Treuler. Ich bin nur herausgekommen, um Luft zu schnappen.«
    »Das will ich mir doch ansehen«, antwortete ich neugierig und betrat Mattäis ehemaliges Büro.
    Der Hausierer hatte auf einem Bürosessel ohne Lehne Platz genommen, Treuler seinen Stuhl an Matthäis alten Schreibtisch gerückt, der ihm als Stütze für seinen linken Arm diente, dazu die Beine übereinandergeschlagen und den Kopf in die linke Hand gelegt. Er rauchte eine Zigarette. Feller nahm das Protokoll auf. Henzi und ich blieben in der Türe stehen und wurden von dem Hausierer nicht bemerkt, da er uns den Rücken zukehrte.
    »Ich habe es nicht getan, Herr Polizeiwachtmeister«, murmelte der Hausierer.
    »Das habe ich auch nicht behauptet. Ich sagte nur, du könntest es getan haben«, erwiderte Treuler. »Ob

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