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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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sei schließlich denkbar und irgendwie logisch zu begründen, das wisse Matthäi ganz genau, er, Locher, habe dessen Fiktion nur aus Gutmütigkeit mitgemacht, doch nun solle Matthäi auch Manns genug sein, die Realität ohne Hypothesen zu sehen, und den Mut haben, sich in die Faktoren, die eindeutig die Schuld des Hausierers bewiesen, zu schicken. Die Kinderzeichnung sei ein bloßes Phantasieprodukt oder entspreche einer Begegnung des Mädchens mit einem Menschen, der gar nicht der Mörder sei, gar nicht der Mörder sein könne.
    »Überlassen Sie es ruhig mir«, antwortete Matthäi, indem er seinen Kognak austrank, »welcher Grad von Wahrscheinlichkeit Ihren Ausführungen beizumessen ist.«
    Der Arzt antwortete nicht gleich. Er saß nun wieder hinter seinem alten Schreibtisch, umgeben von seinen Büchern und Protokollen, ein Direktor einer Klinik, die schon längst veraltet war, der es an Geld fehlte, am Nötigsten und in deren Dienst er sich hoffnungslos aufrieb. »Matthäi«, schloß er endlich die
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    Unterredung und seine Stimme klang müde und bitter, »Sie versuchen etwas Unmögliches. Ich will jetzt nicht pathetisch werden. Man hat seinen Willen, seinen Ehrgeiz, seinen Stolz, man gibt nicht gern auf. Das begreife ich auch, ich bin selber so. Doch wenn Sie nun einen Mörder suchen wollen, den es aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht gibt und den Sie, wenn es ihn auch gäbe, nie finden werden, weil zu viele seiner Art sind, die nur aus Zufall nicht morden, wird es bedenklich. Daß Sie den Wahnsinn als Methode wählen, mag mutig sein, das will ich gerne anerkennen, extreme Haltungen imponieren ja heute, aber wenn diese Methode nicht zum Ziele führt, fürchte ich, daß Ihnen dann einmal nur noch der Wahnsinn bleibt.«
    »Leben Sie wohl, Doktor Locher«, sagte Matthäi.
    Das Gespräch wurde mir von Locher rapportiert. Wie üblich war seine winzige, wie gestochene deutsche Schrift kaum zu lesen.
    Ich ließ Henzi kommen. Er mußte das Dokument ebenfalls studieren. Er meinte, der Arzt spreche ja selbst von haltlosen Hypothesen. Ich war nicht so sicher, der Arzt schien mir Angst vor der eigenen Courage zu haben. Ich zweifelte nun doch. Wir besaßen schließlich vom Hausierer kein ausführliches Geständnis, das wir hätten nachprüfen können, sondern nur ein allgemeines. Dazu war die Mordwaffe noch nicht gefunden worden, keines der im Korbe befindlichen Rasiermesser wies Blutspuren auf. Das gab mir aufs neue zu denken. Damit war zwar von Gunten nachträglich nicht entlastet, die Verdachtsmomente waren immer noch schwer, doch ich war beunruhigt. Auch leuchtete mir Matthäis Vorgehen mehr ein, als ich zugab. Ich ging zum Ärger des Staatsanwalts so weit, daß ich den Wald bei Mägendorf nochmals durchsuchen ließ, doch standen wir darauf wieder ohne Resultat da. Die Mordwaffe blieb unauffindbar. Offenbar lag sie doch im Tobel, wie Henzi glaubte.
    »Nun«, sagte er und nahm eine seiner gräßlichen parfümierten Zigaretten aus der Schachtel, »mehr können wir wirklich nicht für den Fall tun. Entweder ist Matthäi verrückt oder wir. Wir müssen uns jetzt entscheiden.«
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    Ich deutete auf die Photographien, die ich hatte kommen lassen. Die drei ermordeten Mädchen glichen sich.
    »Das weist doch wieder auf den Igelriesen hin.«
    »Wieso?« antwortete Henzi kaltblütig. »Die Mädchen entsprechen eben dem Typ des Hausierers.« Dann lachte er.
    »Nimmt mich nur wunder, was Matthäi unternimmt. In seiner Haut möchte ich nicht stecken.«
    »Unterschätzen Sie ihn nicht«, brummte ich. »Der ist zu allem fähig.«
    »Wird er auch einen Mörder finden, den es gar nicht gibt, Kommandant?«
    »Vielleicht«, antwortete ich und legte die drei Photographien wieder zu den Akten. »Ich weiß nur, daß Matthäi nicht aufgibt.«
    Ich sollte recht behalten. Die erste Nachricht kam vom Chef der Stadtpolizei. Nach einer Sitzung. Wir hatten wieder einmal einen Kompetenzfall zu erledigen gehabt, worauf dieser Unglücksmensch, als er sich verabschiedete, auf Matthäi zu sprechen kam. Wohl um mich zu ärgern. Ich vernahm, er sei des öfteren im Zoologischen Garten gesehen worden, ferner habe er sich bei einer Garage am Escher-Wyß-Platz einen alten Nash erstanden. Kurz darauf erhielt ich eine weitere Meldung. Sie verwirrte mich vollends. Es war in der
    »Kronenhalle«, an einem Sonnabend, ich erinnere mich noch genau. Um mich herum war alles versammelt, was in Zürich Klang, Namen und Appetit hat, emsige Kellnerinnen

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