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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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das Kind ihr?« fragte ich, nachdem die Frau in der Küche verschwunden war.
    Matthäi nickte.
    »Wo haben Sie denn die Heller aufgetrieben?« fragte ich.
    »In der Nähe. Sie arbeitete in der Ziegelfabrik.«
    »Und weshalb ist sie hier?«
    »Na«, antwortete Matthäi, »ich brauchte schließlich jemand für den Haushalt.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte mit Ihnen unter vier Augen reden«, sagte ich.
    »Annemarie, geh in die Küche«, befahl Matthäi.
    Das Mädchen ging hinaus.
    Das Zimmer war ärmlich, aber sauber. Wir setzten uns an einen Tisch beim Fenster. Draußen knallte es mächtig. Eine Salve um die andere.
    »Matthäi«, fragte ich abermals, »was soll dies alles?«
    »Ganz einfach, Kommandant«, antwortete mein ehemaliger Kommissär, »ich fische.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Kriminalistische Arbeit, Kommandant.«
    Ich zündete mir ärgerlich eine Bahianos an. »Ich bin kein Anfänger, aber ich begreife wirklich nichts.«
    »Geben Sie mir auch so eine.«
    »Bitte«, sagte ich und schob ihm das Etui hin. Matthäi stellte Kirsch auf. Wir saßen in der Sonne; das Fenster war halb geöffnet, draußen vor den Geranien mildes Juniwetter und die Knallerei. Wenn ein Wagen hielt, was nun seltener vorkam, da es gegen Mittag ging, bediente die Heller.
    »Locher hat Ihnen ja über unser Gespräch berichtet«, sagte Matthäi, nachdem er die Bahianos sorgfältig in Brand gesteckt hatte.
    »Das hat uns nicht weitergebracht.«
    »Aber mich.«
    -7 4 -

    »Inwiefern?« fragte ich.
    »Die Kinderzeichnung entspricht der Wahrheit.«
    »So. Und was sollen nun die Igel bedeuten?«
    »Das weiß ich noch nicht«, antwortete Matthäi, »aber was das Tier mit den seltsamen Hörnern darstellt, habe ich herausbekommen.«
    »Nun?«
    »Es ist ein Steinbock«, sagte Matthäi gemächlich und zog an seiner Zigarre, paffte den Rauch in die Stube.
    »Deshalb waren Sie im Zoo?«
    »Tagelang«, antwortete er. »Ich habe auch Kinder Steinböcke zeichnen lassen. Was sie zeichneten, glich dem Tier Gritli Mosers.« Ich begriff.
    »Der Steinbock ist das Wappentier Graubündens«, sagte ich.
    »Das Wappen dieser Gegend.«
    Matthäi nickte. »Das Wappen am Nummernschild des Wagens ist dem Gritli aufgefallen.« Die Lösung war einfach.
    »Daran hätten wir gleich denken können«, brummte ich.
    Matthäi beobachtete seine Zigarre, das Wachsen der Asche, den leichten Rauch.
    »Der Fehler«, sagte er ruhig, »den wir begingen, Sie, Henzi und ich, war die Annahme, der Mörder handle von Zürich aus. In Wahrheit kommt er aus Graubünden. Ich bin den verschiedenen Tatorten nachgegangen, sie liegen alle auf der Strecke Graubünden-Zürich.« Ich überlegte mir die Sache.
    »Matthäi, daran mag etwas liegen«, mußte ich dann zugeben.
    »Das ist noch nicht alles.«
    »Nun?«
    »Ich bin Fischerjungen begegnet.«
    »Fischerjungen?«
    »Na ja, Buben, die fischten, genauer.«
    Ich starrte ihn verwundert an.
    -7 5 -

    »Sehen Sie«, erzählte er, »nach meiner Entdeckung fuhr ich zuerst in den Kanton Graubünden. Logischerweise. Doch bin ich mir bald über den Unsinn meines Unterfangens klar geworden. Der Kanton Graubünden ist so groß, daß es schwerfällt, hier einen Menschen zu finden, von dem man nichts weiß, als daß er großgewachsen sein muß und einen alten schwarzen Amerikaner fährt. Über siebentausend Quadratkilometer, über hundertdreißigtausend Menschen verzettelt in Unmengen von Tälern - ein Ding der Unmöglichkeit. An einem kalten Tage nun habe ich ratlos am Inn gesessen, im Engadin, und schaute Knaben zu, die sich am Flußufer beschäftigten. Ich wollte mich schon abwenden, als ich bemerkte, daß die Buben auf mich aufmerksam geworden waren. Sie sahen erschrocken aus und . standen verlegen herum. Einer hatte eine selbstverfertigte Angel bei sich. Fische nur weiter, sagte ich. Die Knaben betrachteten mich mißtrauisch. Sind Sie von der Polizei? fragte ein rothaariger, etwa zwölfjähriger Junge mit Sommersprossen. Sehe ich so aus? entgegnete ich. Na, ich weiß nicht, antwortete der Junge.
    Ich bin nicht von der Polizei, erklärte ich. Dann schaute ich zu, wie sie die Köder ins Wasser warfen. Es waren fünf Buben, alle in ihre Beschäftigung versunken. Es beißt keiner an, sagte nach einer Weile der sommersprossige Junge resigniert und kletterte das Ufer hoch, kam zu mir. Haben Sie vielleicht eine Zigarette?
    fragte er. Du bist ja gut, sagte ich, du in deinem Alter. Sie sehen so aus, als würden Sie mir eine geben, erklärte

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