Das Versteck
wie Seide schimmerte. Die Falle war raffiniert, geradezu verlockend. Die lebende Webmaschine dieses mörderischen Gespinsts war die Verkörperung des Raubtiers schlechthin: klein, aber stark, gewandt und schnell. Der kugelige Spinnenkörper glänzte wie ein dicker schwarzer Blutstropfen, und die Kiefer mahlten in Erwartung der Beute, die noch erlegt werden mußte.
Die Spinne und Steven Honell waren vom selben Schlag und würden Lindsey immer fremd und unerklärlich bleiben, egal wie lange sie sie betrachtete. Beide spannen ihre Netze im Verborgenen. Beide waren mit aller Tücke in ihr Haus eingedrungen, der eine mit Hilfe des gedruckten Wortes in einer Zeitschrift, die andere durch eine Ritze im Fensterrahmen oder durch einen Türspalt. Beide waren bösartig und gefährlich.
Lindsey legte das Vergrößerungsglas hin. Bei Honell konnte sie nichts machen, bei der Spinne schon. Rasch zog sie zwei Papiertaschentücher aus der Box auf ihrem Tisch, warf sie über das Tier in seinem Netz und drückte zu.
Dann knüllte sie die Taschentücher zusammen und warf sie in den Papierkorb.
Gewöhnlich fing sie eine Spinne nur ein und setzte sie sorgsam nach draußen, dennoch plagten sie keine Gewissensbisse. Wäre Honell jetzt hier gewesen, hätte sie in ihrer Wut nicht gezögert, ähnlich schnell und gewaltsam auch mit ihm abzurechnen.
Lindsey kehrte an ihre Staffelei und das Bild zurück und sah plötzlich, wo die letzten Pinselstriche fehlten. Hastig schraubte sie die Maltuben auf und legte ihre Pinsel zurecht. Es war nicht das erste Mal, daß eine ungerechte Behandlung oder dumme Beleidigung sie zu ungeahnter Form auflaufen ließ. Sie fragte sich, wie viele andere Künstler ihre besten Werke schufen, während sie sich ausmalten, wie sie es den ewigen Miesmachern und Nörglern, die ihnen eins auswischen und sie schlechtmachen wollten, heimzahlten.
Nachdem sie zehn oder fünfzehn Minuten intensiv gearbeitet hatte, schoß ihr ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf, der an ihre sorgenvollen Überlegungen vor der Lektüre des Artikels anknüpfte. Honell und die Spinne waren nicht die einzigen ungebetenen Eindringlinge. Der Killer mit der Sonnenbrille hatte sich ebenfalls Zutritt verschafft, und zwar über den mysteriösen Draht zu Hatch. Wenn er Hatch nun genauso sehen konnte wie Hatch ihn? Er würde ihn suchen und verfolgen, um dann wirklich bei ihnen einzudringen. Und er wäre bei weitem gefährlicher als Honell oder jede Spinne.
5
Das letzte Mal hatte Hatch Jonas Nyebern in seinem Sprechzimmer im Orange County General Hospital aufgesucht. Heute fand ihr Treffen in der Privatpraxis des Arztes im Ärztehaus an der Jamboree Road statt.
Das Wartezimmer war bemerkenswert. Nicht wegen des kurzflorigen grauen Teppichbodens oder der Standardmöblierung, sondern wegen der Bilder an den Wänden.
Hatch staunte über die Sammlung hochwertiger alter Ölgemälde, die jeweils eine religiöse Szene aus der katholischen Heilslehre darstellten: das Martyrium des hl. Judas, die Kreuzigung, die Heilige Mutter Gottes, die Verkündigung, die Auferstehung und andere mehr.
Der materielle Wert dieser Sammlung erstaunte Hatch nicht so sehr. Schließlich war Nyebern ein äußerst erfolgreicher Herzchirurg und kam aus einer vermögenden Familie. Vielmehr überraschte es Hatch, daß der Angehörige eines Berufsstandes, der sich seit Jahrzehnten in zunehmendem Maße agnostisch gerierte, seine Bürowände mit religiöser Kunst schmückte, ganz zu schweigen von jenen Miserikordienbildern, die auf Nichtkatholiken wie Nichtgläubige wie eine Provokation wirken mußten.
Als Hatch der Schwester in die hinteren Räume folgte, sah er, daß die Gemäldesammlung sich im Flur der Praxis fortsetzte. Er fand es reichlich skurril, daß links von der aus rostfreiem Stahl und weißem Email gestylten Personenwaage ein Ölbild mit der Darstellung von Jesu Gefangennahme im Garten Gethsemane hing, und daneben eine Tabelle mit dem Idealgewicht für jede Größe, jedes Alter und Geschlecht.
Nach dem Wiegen, dem Blutdruckmessen und der Pulskontrolle wartete Hatch in einem kleinen Untersuchungszimmer auf Nyebern. Er saß am Fußende der Liege, die mit Papier von einer Endlosrolle abgedeckt war. An der gegenüberliegenden Wand hing eine Sehtafel und daneben eine wunderbare Darstellung der Himmelfahrt. Der Maler hatte das Licht auf außergewöhnliche Weise behandelt, so daß die Szene dreidimensional wirkte und die Figuren auf dem Bild zu leben schienen.
Nyebern ließ
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