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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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ekelte sie sich. Das Tier verkörperte einen Teil der Natur, den sie weniger schätzte: Er hatte mit Jagen und Töten zu tun und damit, daß die einen die anderen auffraßen. Sie legte das Vergrößerungsglas weg und ging nach unten, um ein Glas aus der Küche zu holen. Sie wollte die Spinne einfangen und nach draußen setzen, bevor sie sich weiter häuslich bei ihr einrichtete.
    Am Fuß der Treppe fiel Lindseys Blick zufällig durch das kleine Fenster neben der Haustür. Gerade eben fuhr der Postwagen weg. Sie ging nach draußen und holte die Post aus dem Briefkasten neben der Einfahrt: zwei Rechnungen, ein Versandhauskatalog und die neueste Ausgabe von Arts American, einem Kunstmagazin.
    Heute war ihr jede Ausrede willkommen, sich vor ihrer Arbeit zu drücken, was ungewöhnlich genug war, denn sie liebte ihre Malerei. Sie hatte inzwischen völlig vergessen, daß sie eigentlich heruntergekommen war, um ein Glas für die Spinne zu holen, und nahm die Post mit nach oben. Mit einem frisch eingeschenkten Kaffee ließ sie sich in ihrem Sessel nieder und schlug die Zeitschrift auf.
    Beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses entdeckte sie sofort einen Artikel über sich. Das überraschte sie. Arts American hatte schon öfter über ihre Arbeit berichtet, nur hatte der Verlag es ihr immer rechtzeitig angekündigt. Gewöhnlich klärte der Redakteur vorher noch einiges mit ihr ab, auch wenn es kein richtiges Interview war.
    Dann fiel ihr Blick auf den Namen des Verfassers, und sie erstarrte. S. Steven Honell. Ohne auch nur eine Zeile zu lesen, wußte sie, daß der Artikel ein absoluter Verriß sein würde.
    Honell war ein angesehener Romanschriftsteller, der hin und wieder auch über Kunst schrieb; Mitte bis Ende Sechzig und unverheiratet. Als ausgesprochen phlegmatischer Mensch hatte er sich in jungen Jahren bereits gegen die Annehmlichkeiten von Ehe und Familie und für die Schriftstellerei entschieden. Um gut schreiben zu können, lautete sein Wahlspruch, mußte man ein mönchisches Leben führen. In der Abgeschiedenheit sei man geradezu gezwungen, sich einer Sache ganz unmittelbar und ungestört zu widmen, was man in Gesellschaft von anderen Menschen eben nicht könne. Honell hatte seine Einsamkeit zunächst in Nordkalifornien gesucht, dann in Neu-Mexiko. Vor kurzem erst war er nach Orange County gezogen, einer waldreichen und noch recht einsamen Hügellandschaft am unteren Ende des Silverado Canyon.
    Vor einem Jahr im September hatten Lindsey und Hatch eines Abends am zivilisierteren Ende von Silverado Canyon ein Restaurant aufgesucht, das für seine guten Drinks und saftigen Steaks berühmt war. Sie aßen an einem kleinen Tisch im Barraum, dessen rustikale Note ihnen gefiel. An der Bar hockte ein ziemlich angetrunkener weißhaariger Mann und ließ sich lautstark über Literatur, Kunst und Politik aus. Er vertrat seinen Standpunkt äußerst heftig und sparte nicht mit giftigen Bemerkungen. Aus der Art, wie die anderen Gäste am Tresen und der Barkeeper ihn gewähren ließen, schloß Lindsey, daß es sich bei dem brummigen Kerl um einen Stammgast und eine Art Lokalmatador handeln mußte, über den mehr Geschichten im Umlauf waren, als er selber erzählen konnte.
    Dann erkannte sie ihn. Es war S. Steven Honell. Sie hatte einige seiner Bücher gelesen, und manche hatten ihr gefallen. Vor allem aber bewunderte sie seine selbstlose Hingabe an die Schriftstellerei. Sie selbst wäre niemals imstande gewesen, Liebe, Ehe und Kinder ihrer Malerei zu opfern, obgleich die Erprobung ihrer Kreativität ebenso wichtig für sie war wie Essen und Trinken. Während sie Honell ungewollt zuhörte, verwünschte sie insgeheim den Zufall, der sie und Hatch ausgerechnet in dieses Lokal geführt hatte. Von nun an würde sie keines von Honells Büchern mehr lesen können, ohne an seine abfälligen Bemerkungen über die Werke und Fähigkeiten seiner Zunftkollegen denken zu müssen. Mit jedem Drink wurde Honell galliger, und je ätzender seine Kritik anderen gegenüber wurde, desto nachsichtiger ging er mit den eigenen Schwächen um. Seine Redseligkeit war unerträglich. Durch den Alkohol wurde der geschwätzige Narr sichtbar, der sich hinter der Legende vom verschlossenen Einzelgänger verbarg. Man hätte ihn nur noch mit einer Pferdedosis Demerol – intravenös – oder mit einer 357er Magnum zum Schweigen bringen können. Lindsey aß hastig ihr Steak, fest entschlossen, auf den Nachtisch zu verzichten und so schnell wie möglich zu

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