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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schon gar nicht simpler Trost, seine Wunde würde heilen können. Obwohl er eine ganz persönliche Tragödie schilderte, erwartete der Arzt offensichtlich kein Mitgefühl oder freundschaftliche Gefühle von Hatch. Mit einemmal wirkte er auf geradezu beängstigende Weise selbstbeherrscht. Er sprach über diese Tragödie, weil die Zeit gekommen war, sie aus seiner persönlichen Dunkelkammer ans Licht zu zerren und noch einmal zu überprüfen. Das hätte er heute mit wem auch immer getan, wäre Hatch nicht dagewesen, hätte er es vielleicht auch in den leeren Raum gesprochen.
    »Als sie tot waren«, fuhr Nyebern fort, »nahm Jeremy dasselbe Messer, ein Fleischmesser, mit in die Garage, spannte es in den Schraubstock an meiner Werkbank, stieg auf einen Hocker und ließ sich in das Messer fallen, spießte sich selbst auf. Er ist verblutet.«
    Die rechte Hand des Arztes lag noch immer auf seiner Brust, nur schien es nicht mehr so, als ob er die Wahrheit zu sagen gelobte. Es erinnerte Hatch vielmehr an ein Gemälde von Jesus Christus mit der Hand auf dem entblößten Heiligen Herzen. Die schmale Hand der göttlichen Gnade wies auf das Symbol des Opfers und der Verheißung der Ewigkeit.
    Schließlich löste Nyebern seinen Blick von dem Bild und sah Hatch an. »Manche Leute meinen, das Böse ist nur die Folge unseres Handelns und nichts anderes als das Ergebnis unseres Willens. Ich denke auch, daß es so ist – und noch mehr. Ich glaube, daß das Böse eine reale Macht ist, eine Energie für sich, eine Präsenz in unserer Welt. Glauben Sie das auch, Hatch?«
    »Ja«, sagte Hatch spontan und zu seiner eigenen Überraschung.
    Nyebern blickte auf den Rezeptblock in seiner Linken. Er nahm die rechte Hand von der Brust, riß das oberste Blatt ab und reichte es Hatch. »Der Mann heißt Foster. Dr. Gabriel Foster. Ich denke, er wird Ihnen helfen können.«
    Hatch bedankte sich leicht benommen.
    Nyebern ging zur Tür und machte Hatch ein Zeichen, vorzugehen.
    Im Flur blieb der Arzt stehen. »Hatch?«
    Hatch blickte sich fragend um.
    »Tut mir leid«, sagte Nyebern.
    »Was?«
    »Daß Sie sich die ganze Geschichte anhören mußten, warum ich die Sammlung verschenke.«
    Hatch nickte. »Ich hab ja schließlich gefragt, oder?«
    »Ich hätte mich auch kürzer fassen können.«
    »Bitte?«
    »Nun, ich hätte auch sagen können, daß ich mir den Weg in den Himmel freikaufen möchte.«
    Hatch blieb noch eine Weile auf dem Parkplatz in seinem Wagen sitzen und betrachtete eine Wespe, die über der Motorhaube seines roten Wagens schwebte, als hätte sie die Rose ihres Lebens gefunden.
    Das Gespräch in Nyeberns Praxis hing ihm nach wie ein Traum, aus dem er nur mühsam erwachte. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß die Tragödie in Nyeberns Leben in einer bestimmten Beziehung zu seinem gegenwärtigen Problem stand, nur konnte er keinen tatsächlichen Zusammenhang herstellen.
    Die Wespe schwebte nach links, dann nach rechts, blieb aber auf die Windschutzscheibe gerichtet, als ob sie ihn dahinter erkennen konnte und auf mysteriöse Weise angezogen wurde. Sie schlug immer wieder gegen das Glas, prallte ab und setzte ihr Schweben fort. Klopf, schweb, klopf, schweb, klopf-klopf, schweb. Eine wild entschlossene Wespe. Hatch überlegte, ob es sich bei ihr um jene Sorte handelte, deren Stachel beim Stechen abbrach und ihren Tod zur Folge hatte. Klopf, schweb, klopf, schweb, klopf-klopf-klopf. Und wenn sie zu dieser Spezies gehörte, war sie sich dann im klaren, was ihre Ausdauer ihr einbrachte? Klopf, schweb, klopf-klopf-klopf.
     
    Nachdem seine letzte Patientin an diesem Tag, eine charmante Dreißigjährige, an der er im letzten März eine Herztransplantation vorgenommen hatte, gegangen war, betrat Jonas Nyebern sein privates Arbeitszimmer und schloß die Tür. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und suchte in seiner Brieftasche nach einem Zettel mit einer Telefonnummer, die er vorsichtshalber nicht auf seinem Adressenkarussell notiert hatte. Er fand das Papier, nahm den Telefonhörer ab und drückte die Zahlen in die Tastatur.
    Nach dem dritten Klingeln sprang der Anrufbeantworter an wie schon bei seinen vorhergehenden Anrufen gestern und heute morgen: Hier spricht Morton Redlow, Ich bin im Moment leider nicht im Büro. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht und Ihre Telefonnummer. Ich rufe so bald wie möglich zurück.
    Jonas wartete auf den Pfeifton und sagte leise: »Mr. Redlow, hier spricht Dr. Nyebern. Ich habe schon ein paarmal angerufen, tut

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