Das Versteck
Gestank des Todes erfüllt.
Vassago hatte schon oft von dem Feuer geträumt, unzählige Male seit der Nacht von Tods zwölftem Geburtstag. Es schuf stets die wunderbarsten Schimären und Wahngebilde, die seinen Schlaf begleiteten.
Diesmal aber stiegen fremde Gesichter und Bilder aus den Flammen. Da war wieder das rote Auto. Ein wunderhübsches ernstes Mädchen mit braunem Haar und großen grauen Augen, die merkwürdig alt in dem jungen Gesicht wirkten. Eine kleine Hand, grausam verkrüppelt, an der zwei Finger fehlten. Ein Name, den er schon einmal gehört hatte, hallte durch die züngelnden Flammen und die schmelzenden Schatten im Spukhaus. Regina … Regina … Regina.
Nach dem Besuch bei Dr. Nyebern war Hatch in gedrückter Stimmung. Zum einen, weil die Tests nichts aufwiesen, was irgendeine Erklärung für seine rätselhaften Visionen geliefert hätte, zum anderen, weil er ungewollt Einblick in die privaten Probleme des Arztes bekommen hatte. Doch wenn es überhaupt ein Mittel gegen Melancholie gab, dann war es Regina. Sie besaß die Begeisterungsfähigkeit und Unbekümmertheit ihres Alters; das Leben hatte sie nicht ein bißchen kleingekriegt.
Während sie auf die Haustür zugingen, fiel Hatch auf, daß Regina weniger Mühe mit dem Gehen zu haben schien als noch vor ein paar Tagen in Gujilios Büro, obwohl die Beinschiene sie behinderte. Ein bunter Schmetterling begleitete sie, er gaukelte über ihrem Kopf, als ahnte er, wie sehr sie ihm in ihrem Wesen ähnelte: so munter und schön.
Regina bedankte sich förmlich: »Danke, daß Sie mich abgeholt haben, Mr. Harrison.«
»Aber bitte, es war mir ein Vergnügen«, erwiderte er mit ebensolchem Ernst.
Dieser »Mr. Harrison«-Quatsch konnte so nicht weitergehen, da mußten sie sich ganz schnell etwas einfallen lassen. Vermutlich hielt Regina aus Scheu vor allzu großer Vertrautheit an dieser Förmlichkeit fest und aus Angst, man könnte sie wieder zurückschicken wie bei ihrer ersten Adoption. Sicher befürchtete sie auch, sich zu blamieren, wenn sie das Falsche tat oder sagte, und ihre letzte Hoffnung auf ein wenig Glück zu verspielen.
Vor der Haustür blieb Hatch stehen und schaute Regina ernst an: »Von nun an wird einer von uns beiden, Lindsey oder ich, dich jeden Tag von der Schule abholen, es sei denn, du hast einen Führerschein und möchtest kommen und gehen, wann du willst.«
Sie blickte zu ihm auf. Der Schmetterling umkreiste ihren Kopf wie eine lebende Krone oder ein Heiligenschein. »Sie ziehen mich auf, stimmt's?« fragte sie vorsichtig.
»Nun, ich fürchte, ja.«
Sie wurde rot und schaute schnell weg, als ob sie überlegen mußte, ob aufgezogen werden etwas Gutes oder Schlechtes war. Er konnte sie beinahe laut denken hören: Flachst er nun, weil er mich für schlau hält oder für hoffnungslos blöde? So oder so ähnlich.
Auf der Heimfahrt war es Hatch nicht entgangen, daß auch Regina manchmal von Selbstzweifeln gepackt wurde, die sie glaubte verbergen zu können und die doch deutlich in ihrem hübschen, ausdrucksstarken Gesicht geschrieben standen. Jedesmal, wenn er einen Riß in Reginas Selbstvertrauen spürte, hätte er sie am liebsten in die Arme geschlossen und getröstet – und alles verdorben. Sie wäre entsetzt darüber, daß man ihr ihre inneren Kämpfe überhaupt anmerkte, denn sie brüstete sich damit, hart zu sein, robust und eigenständig, und trug diese Vorstellung wie einen Panzer gegen die Unbill der Welt.
»Hoffentlich macht es dir nichts aus, aufgezogen zu werden«, sagte Hatch und schloß die Haustür auf. »So bin ich nun mal. Ich könnte mich natürlich den Anonymen Aufziehern anschließen, um meine Sucht loszuwerden, aber das ist ganz schön hart. Sie schlagen dich mit Gummischläuchen, und du mußt jeden Tag dicke Bohnen essen.«
Irgendwann einmal, wenn sie merkte, daß sie geliebt und akzeptiert wurde, würde ihr Selbstvertrauen so unerschütterlich sein, wie sie es sich jetzt einbildete. Bis dahin war es am besten, so zu tun, als ob er sie genauso sah, wie sie es sich wünschte – und ihr unauffällig und mit viel Geduld bei ihrer Entwicklung zu helfen.
Bevor sie ins Haus traten, machte Regina Hatch ein Geständnis. »Ich hasse dicke Bohnen, jede Sorte Bohnen, aber ich habe mit dem lieben Gott ein Abkommen getroffen. Wenn er mir … etwas gibt, was ich mir ganz doll wünsche, werde ich für den Rest meines Lebens jede Art von Bohnen essen und mich nicht beklagen.«
Hatch zog die Tür ins Schloß und sagte:
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