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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Botschaft des Bildes lautete: So eindrucksvoll die Rose auch sein mochte, galt sie doch nichts im Vergleich zu dem himmlischen Leuchten.
    Nach Jimmys Tod bis zu Hatchs Reanimation hatte Lindsey strikt jede Art von Trost von einem Gott abgelehnt, der eine Welt erschaffen konnte, in der es den Tod gab. Hatch erinnerte sich an einen Priester, der Lindsey zum Beten raten wollte: Es würde ihren Schmerz um den Verlust des Sohnes schmälern. Lindsey hatte kalt und abweisend reagiert: Beten bringt nichts. Erwarten Sie keine Wunder, Pater. Die Toten sind tot, und die Lebenden warten nur darauf, es ihnen gleichzutun. Nun war eine Veränderung in ihr vorgegangen. Die schwarze Rose auf dem Bild verkörperte den Tod. Nur besaß er keine Macht über Jimmy. Der befand sich jenseits des Todes, erhob sich darüber. Mit ihrer Idee zu dem Bild und der perfekten Umsetzung dieser Idee hatte Lindsey einen Weg gefunden, endlich Abschied von dem Jungen zu nehmen, ohne Schmerz oder Verbitterung. Es war ein Abschied in Liebe und in der neuen Erkenntnis, an mehr als nur an das Leben glauben zu wollen, das doch immer in einer kalten, dunklen Erdgrube endete.
    »Es ist wunderschön«, sagte Regina ehrfürchtig. »Aber irgendwie unheimlich … Ich weiß nicht, warum … unheimlich … und so schön.«
    Hatch blickte von dem Bild auf und sah Lindsey an, wollte etwas sagen, schluckte. Mit seiner Wiederbelebung waren auch ihre Gefühle füreinander wiedererweckt worden, und sie hatten sich eingestehen müssen, fünf kostbare Jahre an ihren Kummer verloren zu haben. Dennoch wollten sie nicht gelten lassen, daß das Leben jemals wieder so schön sein könnte wie vor diesem leisen Tod: Sie hatten Jimmy nicht wirklich losgelassen. Jetzt konnte Hatch in Lindseys Blick lesen, daß sie sich wieder uneingeschränkt der Hoffnung hingab. Der Tod des Jungen lastete nun so schwer auf Hatch wie seit Jahren nicht mehr, denn wenn Lindsey ihren Frieden mit Gott gemacht hatte, mußte er es auch tun. Er rang nach Worten, schaute wieder auf das Bild, spürte, wie die Tränen in ihm aufstiegen, und verließ hastig das Zimmer.
    Ohne zu wissen, was er tat, ging Hatch in sein kleines Arbeitszimmer hinunter, das sie Regina als Schlafzimmer angeboten hatten, öffnete die Terrassentür und trat in den Rosengarten hinaus.
    Die Rosen glühten in der warmen Nachmittagssonne in roten, weißen, gelben, rosa und pfirsichfarbenen Tönen. Hier und da standen noch Knospen, andere Blüten hatten sich weit geöffnet. Eine schwarze Rose war nicht darunter. Betörender Duft erfüllte den Garten.
    Hatch streckte die Hände aus nach dem nächsten Rosenstrauch, wollte die Blüten anfassen, stockte. Er hielt die Arme gebeugt, wie um etwas darin zu wiegen, vermeinte ein Gewicht darin zu spüren. Da war nichts in seinen Armen, und trotzdem spürte er etwas, spürte das Leichtgewicht seines vom Krebs zerfressenen Sohnes auf den Armen, als sei es gerade erst eine Stunde her.
    In den letzten Minuten vor Jims Tod hatte er die Schläuche und Drähte von ihm entfernt, den Jungen aus den schweißnassen Krankenhauslaken gehoben und sich mit ihm in einen Sessel am Fenster gesetzt. Dort hielt er ihn eng umschlungen und flüsterte mit ihm, bis kein Atem mehr über die schmalen blassen Lippen strich. Hatch würde sein Leben lang das Federgewicht des toten Jungen in seinen Armen nicht vergessen, nicht die kantigen Knochen, die trockene Hitze, die seine wächserne Haut ausströmte, seine ergreifende Gebrechlichkeit.
    Die Erinnerung daran überfiel ihn eben jetzt, hier im Rosengarten. Er blickte auf in den Sommerhimmel und fragte: »Warum?«, als ob er eine Antwort erwartete. »Er war doch so klein«, sagte Hatch. »So verdammt klein.«
    Noch während er sprach, zog das Gewicht in seinen Armen an ihm, als trüge er eine tonnenschwere Last. Konnte er sich doch noch nicht von dem Jungen lösen? Dann geschah etwas Seltsames, die Last in seinen Armen wurde immer geringer, bis sie sich ganz aufgelöst hatte, der unsichtbare Körper des Jungen schien zu entschweben, als sei der Leib endlich in die Seele übergegangen, als brauchte Jim keinen Trost mehr.
    Hatch ließ die Arme sinken.
    Ob sich von nun an die bittersüße Erinnerung an ein verlorenes Kind in die süße Erinnerung an das geliebte Kind umkehrte? Und würde diese Erinnerung dann vielleicht nicht mehr so schwer wiegen, daß sie das Herz erdrückte?
    Er stand immer noch zwischen den Rosen.
    Es war ein warmer Tag. Der späte Nachmittag leuchtete

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