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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gefragt, ob die Harrisons eine Tochter hätten, aber der Schriftsteller wußte nur etwas von einem Sohn, der schon vor Jahren gestorben war.
    Nur durch die Nachtluft und eine Fensterscheibe von Vassago getrennt, schien das Mädchen vor ihm zu schweben wie eine Vision. In Wirklichkeit war sie noch viel schöner als in seinen Träumen. Sie wirkte so vital, sprühte geradezu vor Lebenskraft, daß es ihn nicht verwundert hätte, wenn sie sich ebenfalls mit nachtwandlerischer Sicherheit im Dunkeln bewegt hätte, auch wenn ihr Fall natürlich anders lag als seiner. Sie schien ein inneres Leuchten zu besitzen, das sie befähigte, sich in jeder Art von Dunkelheit zurechtzufinden. Vassago zog sich weiter in den Schatten der Myrte zurück, weil er befürchtete, daß das Mädchen ihn ebenso gut zu sehen vermochte wie er sie.
    Unter ihrem Fenster hing ein Spalier an der Hauswand. Spalierwein rankte sich bis zum Fenstersims daran hoch, dann teilten sich die Ranken und zogen sich rechts und links vom Fenster weiter nach oben bis zur Dachrinne. Sie war eine Prinzessin, im Turm gefangen, und hielt Ausschau nach dem Prinzen, der sie erlösen würde. Das Gefängnis war das Leben, der Prinz, auf den sie sehnlichst wartete, der Tod, und wovon er sie erlösen sollte, war der Fluch des Lebens.
    »Ich werde dir helfen«, murmelte Vassago leise, rührte sich aber nicht aus seinem Versteck.
    Nach einer Weile löste das Mädchen sich vom Fenster. Verschwand. Die dunkle Fensteröffnung war leer.
    Vassago sehnte sie zurück, ein letzter Blick.
    Regina.
    Er wartete fünf Minuten lang, dann noch einmal fünf Minuten. Sie kam nicht mehr ans Fenster.
    Schließlich merkte er, daß es bald hell wurde, und schlich sich zur Garage zurück. Diesmal leistete das kleine Fenster keinen Widerstand und öffnete sich lautlos. Vassago wand sich durch die Luke wie ein Aal. Nur das leise Schurren seiner Kleidung war zu hören.
     
    Lindsey schlief unruhig und schlecht. Sie wachte in regelmäßigen Abständen auf, verschwitzt, obwohl das Haus nicht geheizt war. Hatch lag neben ihr und murmelte Unverständliches im Schlaf. Im Morgengrauen drang ein Geräusch von unten aus der Halle. Lindsey richtete sich auf und lauschte. Dann hörte sie die Wasserspülung in der Gästetoilette. Regina. Sie legte sich wieder zurück, auf sonderbare Weise beruhigt von dem profanen Geräusch. Eigentlich albern, daß so etwas ein Trost sein könnte. Es schien so lange her, daß ein Kind unter ihrem Dach wohnte. Und es tat gut, das Mädchen bei einer alltäglichen Verrichtung zu hören, das Haus wirkte dadurch weniger bedrohlich. Vielleicht war ihr Glück doch greifbarer, als sie dachte, trotz all ihrer gegenwärtigen Probleme.
     
    Wieder in ihrem Bett, dachte Regina ernsthaft darüber nach, warum Gott die Menschen mit Verdauungsorganen ausgestattet hatte. Sollte das wirklich der Weisheit letzter Schluß sein, oder war Er am Ende ein Spaßvogel?
    Ihr fiel ein, wie sie einmal im Waisenhaus mitten in der Nacht aufstehen mußte, einer Nonne über den Weg gelaufen war und ihr genau diese Frage gestellt hatte. Schwester Sarafina schien in keiner Weise verblüfft. Damals war Regina allerdings noch zu jung gewesen, um zu wissen, wie man eine Nonne verblüffte. Dazu bedurfte es Jahre der Übung. Schwester Sarafina hatte ohne Zögern geantwortet, daß Gott den Menschen einen Anlaß bot, mitten in der Nacht aufzustehen, und somit eine weitere Gelegenheit, an Ihn zu denken und Ihm dankbar für das Leben zu sein, das Er ihnen gewährte. Regina hatte gelächelt und genickt, dabei jedoch gedacht, daß Schwester Sarafina entweder zu müde sein mußte, um klar zu denken, oder ein bißchen beschränkt. Es entsprach ja wohl nicht ganz Gottes Stil, von Seinen Kindern zu erwarten, daß sie auch noch auf dem Klo unentwegt Seiner gedachten.
    Zufrieden mit ihrem Abstecher auf die Toilette, kuschelte Regina sich wieder in ihre Decke und suchte nach einer Erklärung, die überzeugender klang als die von der Nonne vor ein paar Jahren. Keine verdächtigen Geräusche drangen mehr aus dem Garten, und bevor noch das erste Tageslicht ihr Fenster streifte, schlief sie wieder tief und fest.
     
    Die hohen Fenster in der breiten Garagentür ließen gerade genug Lampenlicht von draußen herein. Vassago konnte ohne Brille erkennen, daß nur ein Wagen, ein schwarzer Chevy, in der Doppelgarage stand. Ein kurzer Rundgang ergab, daß es hier kein brauchbares Versteck für ihn gab, weder vor den Harrisons noch vor dem

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