Das Versteck
auslöste, erfüllte es sie zumindest mit Verzweiflung.
»Früher oder später«, sagte Hatch, »ist der Dreckskerl auch hinter mir her.«
Mühsam hob Lindsey den Kopf. »Warum bloß?«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich werden wir nie dahinterkommen, warum. Es nie begreifen. Doch gibt es zwischen ihm und mir eine Verbindung, und er wird kommen.«
»Die Polizei soll sich darum kümmern«, meinte Lindsey. Sie wußte genau, daß kein Polizeibeamter ihnen würde helfen können, und weigerte sich dennoch wie ein trotziges Kind, von dieser Vorstellung abzulassen.
»Sie würden ihn auch gar nicht finden«, erwiderte Hatch grimmig. »Einen Geist.«
»Er wird nicht kommen«, redete Lindsey sich ein.
»Vielleicht nicht gleich morgen, nächste Woche oder in einem Monat. Aber er wird kommen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und wir werden gewappnet sein.«
»Wirklich?« fragte sie ungläubig.
»In jeder Hinsicht.«
»Kannst du dich noch daran erinnern, was du letzte Nacht gesagt hast?«
Er schaute sie fragend an. »Was?«
»Daß er womöglich kein gewöhnlicher Mensch ist, daß du ihn vielleicht huckepack von … von dort mitgebracht hast.«
»Ich dachte, du hättest diese Theorie verworfen?«
»Habe ich auch. Ich glaube so was einfach nicht. Und du? Was hältst du davon, ganz ehrlich?«
Er antwortete nicht, sondern beschäftigte sich wieder mit den Pistolen.
Lindsey gab nicht nach. »Wenn du das glaubst, wenn du nur halbwegs davon überzeugt bist – was sollen dann die Waffen?«
Er sagte nichts darauf.
»Wie kann man mit einer Pistole einen bösen Geist bekämpfen?« drängte sie. Es kam ihr so vor, als sei das alles nicht wahr – daß sie nur im Traum aufgestanden war und Regina zur Schule gebracht hatte und daß sie jetzt mitten in einem Alptraum steckte. »Wie soll man etwas aus dem Jenseits mit einer Kugel aufhalten können?«
»Etwas anderes habe ich nicht«, erklärte er ruhig.
Wie andere Ärzte auch, hielt Jonas Nyebern mittwochs keine Sprechstunde ab und führte keine chirurgischen Eingriffe durch. Im Gegensatz zu anderen Kollegen verbrachte er den Nachmittag allerdings nicht mit Golfspielen, Segeln oder einer Partie Bridge im Country Club. Er nutzte seinen freien Tag gewöhnlich, um Briefe zu schreiben oder wissenschaftliche Abhandlungen und Fallstudien für das Reanimationszentrum im Orange County General zu verfassen.
Auch an diesem ersten Mittwoch im Mai würde Jonas sich überwiegend in seinem Arbeitszimmer zu Hause in Spyglass Hill aufhalten, wo er seit zwei Jahren, seit dem Verlust seiner Familie, wohnte. Er mußte noch einen Vortrag ausarbeiten, den er am kommenden achten Mai auf einem wissenschaftlichen Kongreß in San Franzisko halten sollte.
Von den Fenstern seines teakholzgetäfelten Arbeitszimmers aus konnte er Corona Del Mar und Newport Beach überblicken. In rund fünfzig Kilometern Entfernung baute sich die dunkle Steilküste von Santa Catalina Island wie eine Sperrmauer vor dem grün-blau marmorierten Ozean auf und konnte ihm doch nichts von seiner grenzenlosen Weite und erhabenen Größe nehmen.
Jonas brauchte die Vorhänge nicht zu schließen, weil ihn das Panorama schon lange nicht mehr ablenkte. Er hatte das Grundstück damals in der Hoffnung erworben, daß das luxuriöse Haus und der wunderbare Ausblick ihm trotz seines tragischen Verlustes das Leben wieder lebenswerter machen würden. Wahren Trost fand er jedoch nur in seiner Arbeit, und so setzte er sich auch jetzt an seinen Schreibtisch, ohne einen Blick an die schöne Aussicht zu verschwenden.
Heute morgen hatte er allerdings Mühe, sich auf die weißen Buchstaben auf dem blauen Bildschirm seines Computers zu konzentrieren. Seine Gedanken wanderten jedoch nicht auf den Pazifik hinaus, sondern zurück zu seinem Sohn Jeremy.
Als Jonas an jenem verhangenen Frühlingstag vor zwei Jahren nach Hause gekommen war, hatten Marion und Stephanie auf dem Boden gelegen und aus so vielen tiefen Stichwunden geblutet, daß sie nicht mehr zu retten waren. Jeremy hatte er in der Garage vorgefunden, aufgespießt mit einem in den Schraubstock gespannten Messer, er war bewußtlos und dabei, zu verbluten. Jonas wollte damals nicht eine Sekunde lang an die Gewalttat irgendeines Wahnsinnigen oder beim Stehlen überraschten Einbrechers glauben. Vielmehr sagte ihm sein Instinkt, daß dieser Junge selbst, der da über der Werkbank hing und dessen Leben auf den Zementboden tropfte, der Täter war. Mit Jeremy hatte vom ersten Tag
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