Das Versteck
Bogenlampen erleuchtet, die nicht bis in die Vorgärten der friedlich daliegenden Häuser schienen. Im Vertrauen darauf, daß alles noch schlief und niemand sah, wie er im Schatten des Gesträuchs um das Haus herumschlich, suchte er nach einer unverriegelten Tür oder einem ungesicherten Fenster. Bei dem kleinen Fenster an der rückwärtigen Garagenwand hatte er Glück.
Regina wurde von einem leisen Scharren aufgeweckt, danach folgte ein dumpfer Schlag und ein verhaltenes langgedehntes Quietschen. Ihre neue Umgebung war noch ungewohnt für sie, wenn sie aufwachte, brauchte sie immer eine gewisse Zeit, sich zurechtzufinden. Eines wußte sie jedoch mit absoluter Sicherheit: daß sie nicht in ihrem Bett im Waisenhaus lag. Regina tastete nach der Nachttischlampe, knipste sie an und mußte blinzeln in dem hellen Licht. Als sie erkannte, wo sie war, wurde ihr klar, daß unheimliche Geräusche sie aufgeweckt hatten, die in dem Moment verstummten, als ihr Licht anging. Das machte die Sache noch unheimlicher.
Sie machte die Lampe wieder aus und lauschte in die Dunkelheit. Bunte Ringe tanzten vor ihren Augen, die Nachwirkungen von dem hellen Lichtschein. Sie konnte zwar keine verstohlenen Geräusche mehr ausmachen, meinte aber, daß sie aus dem Garten hinter dem Haus gekommen sein mußten.
Ihr Bett war so gemütlich. Die gemalten Blumen auf dem Bettgestell schienen das ganze Zimmer mit Duft zu erfüllen. Zwischen diesen Rosen fühlte sie sich geborgener als je zuvor.
Regina hatte in den letzten Tagen sehr wohl gemerkt, daß die Harrisons irgendein Problem mit sich herumtrugen, und fragte sich, ob die verdächtigen Geräusche mitten in der Nacht etwas damit zu tun haben könnten. Gestern nachmittag auf der Heimfahrt von der Schule, abends beim Pizzaessen und danach im Kino war die Spannung zwischen den beiden zu spüren gewesen, obwohl sie sie krampfhaft vor ihr zu verbergen suchten. Regina wußte wohl, was für eine Nervensäge sie sein konnte, hielt es jedoch für ausgeschlossen, daß sie der Grund für die Nervosität ihrer Adoptiveltern war. Vor dem Einschlafen hatte sie die Harrisons in ihr Gebet eingeschlossen und den lieben Gott bekniet, ihr Problem, falls sie eins hatten, möge nur klein und bald gelöst sein. Zum Schluß vergaß sie nicht, ihn an ihr selbstloses Gelöbnis zu erinnern, bei Bedarf jede Art von Bohnen zu essen.
Sollten diese verdächtigen Geräusche doch irgendwie mit der inneren Unruhe der Harrisons zusammenhängen, schien es Regina unbedingt angebracht, dem nachzugehen. Sie warf einen fragenden Blick auf ihr Kruzifix über dem Bett und seufzte. Man konnte ja nicht immer auf Jesus und Maria hoffen, schließlich hatten sie genug zu tun. Mußten ja ein ganzes Universum leiten. Gott hilft denen, die sich selbst helfen.
Sie schlüpfte aus dem Bett, stand vorsichtig auf und tastete sich an der Wand entlang zum Fenster. Die Beinschiene hatte sie zum Schlafen abgelegt, und ohne Stütze konnte sie nur mühsam gehen.
Ihr Schlafzimmerfenster ging auf den kleinen Hinterhof neben der Garage hinaus, von wo die verdächtigen Geräusche gekommen waren. Es herrschte stockfinstere Nacht da draußen, kein Mondlicht erhellte die Szene. Je länger Regina in die Dunkelheit hinausstarrte, desto weniger konnte sie erkennen, als ob die Dunkelheit ihr Sehvermögen aufsaugte, ja, es schien beinahe so, als ob jeder undurchdringliche Schatten voll Leben war und sie belauerte.
Das Garagenfenster war zwar nicht verriegelt, ließ sich jedoch nicht so einfach aufstemmen, weil die Beschläge angerostet und der Fensterrahmen vom letzten Anstrich verklebt war. Vassago hatte mehr Geräusche verursacht, als ihm lieb war, aber er glaubte nicht, daß irgend jemand im Haus etwas gemerkt hatte. Gerade als sich das Fenster endlich rührte und die Beschläge unter seinem Druck nachgaben, ging ein Licht im ersten Stock des Hauses an.
Er sprang mit einem Satz von der Garage weg und wartete im Schatten einer riesigen Myrte am Zaun, bis das Licht wieder ausging.
Und da sah er sie am Fenster stehen. Bei brennendem Licht hätte er sie wahrscheinlich nicht so gut erkennen können. Das Mädchen, das ihm schon so oft mit Lindsey Harrison zusammen im Traum erschienen war. Zuletzt hatten sich ihre Blicke über einer schwebenden schwarzen Rose getroffen, auf deren samtigem Blütenblatt ein Blutstropfen schimmerte.
Regina.
Ungläubig und in steigender Erregung starrte er zu ihr hinauf. Früher an diesem Abend hatte er Steven Honell
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