Das Versteck
Ecke bog, flatterte ein einzelner silbriger Nachtfalter durch seine Scheinwerferkegel, der Lichtschein brach sich an dem Tier, das kurz wie ein Funke aufglühte. Er mußte an die Fledermaus denken, wie sie in das Lampenlicht der Tankstelle gejagt kam und den unseligen Nachtfalter im Flug erbeutete. Ihn bei lebendigem Leib verspeiste.
Erst weit nach Mitternacht war Hatch endlich eingenickt. Sein Schlaf glich einer tiefen Erzmine, und die Adern seiner Träume bildeten helle Mineralbänder in den sonst dunklen Stollenwänden. Die Träume waren ausnahmslos unangenehm, aber auch wieder nicht so furchtbar, daß er aufwachen mußte.
Im Moment sah er sich gerade am Fuß einer Schlucht stehen, deren Wände steil wie eine Festung aufragten. Selbst bei geringerer Steigung hätte er sie nicht erklimmen können, denn sie bestanden aus einem seltsam losen Schiefergestein, das gefährlich bröckelte und rutschte. Ein kalkiger Schimmer ging von dem Schiefer aus und bildete die einzige Lichtquelle in dieser finsteren Nacht. Weder Mond noch Sterne standen am Himmel. Hatch rannte von einem Ende der schmalen, langen Schlucht zum anderen und wieder zurück, voll dunkler Vorahnungen, die er sich nicht erklären konnte.
Da sah er etwas, und seine Nackenhärchen sträubten sich. Der weiße Schiefer bestand nicht etwa aus Gestein und dem Sediment von Abermillionen Meerestierchen aus grauer Vorzeit; nein, er setzte sich aus menschlichen Knochenbergen zusammen; ausgebleichte, zersplitterte und zusammengepreßte Skelette, hier und da noch deutlich zu erkennen, wo ein bleicher Fingerknochen herausragte oder wenn sich das Schlupfloch eines kleinen Insekts als leere Augenhöhle in einem Totenschädel herausstellte. Hatch merkte auch, daß der Himmel über ihm nicht etwa leer war, wie er meinte, sondern vielmehr etwas von solch finsterem Schwarz darin kreiste, daß es das gesamte Firmament verdeckte. Die lederartigen Flügel schlugen lautlos. Er konnte nichts erkennen, spürte nur einen gierigen Blick auf sich und ahnte den unstillbaren Hunger dieses Wesens.
Hatch drehte sich unruhig im Schlaf und murmelte Unverständliches in sein Kopfkissen.
Vassago blickte auf die Uhr im Wagen. Auch ohne die Anzeige wußte er instinktiv, daß es in einer Stunde hell wurde.
Er war nicht sicher, ob ihm bis Tagesanbruch noch genug Zeit blieb, ins Haus einzudringen, den Mann zu töten und die Frau zu seinem Versteck zu bringen. Er würde zwar nicht gerade zusammenschrumpfen und zu Staub zerfallen wie die lebenden Toten und Vampire im Film, aber seine Augen waren so lichtempfindlich, daß ihm die dunklen Brillengläser nicht genügend Schutz vor dem hellen Tageslicht boten. Es würde ihn blenden, regelrecht blind machen und seine Fahrtüchtigkeit drastisch vermindern. Sein unsicherer Zickzackkurs würde ihn für jeden Polizisten verdächtig machen, und in diesem Zustand der Schwäche wäre er der Polizei gegenüber wehrlos.
Weit mehr beunruhigte ihn der Gedanke, daß er die Frau verlieren könnte. Nachdem er sie so oft im Traum gesehen hatte, war sie zu einem Objekt größter Begierde geworden. Unter seinen Opfern hatte es manch begehrenswertes Objekt gegeben, das ihn hoffen ließ, es möge seine Sammlung vollenden und ihm sogleich die Rückkehr in die grimmige Welt der ewigen Finsternis und des Hasses ermöglichen. Ein Trugschluß, wie er hinterher zugeben mußte, nur waren diese Opfer ihm vorher auch nie im Traum erschienen. Diese Frau wäre wirklich die Krönung seiner Sammlung. Er durfte nur nicht überstürzt handeln, um sie nicht wieder zu verlieren, ehe er ihr am Fuß des gigantischen Luzifer das Leben entreißen und ihren erkaltenden Leichnam in jene Stellung bringen konnte, die ihre Sünden und Schwächen am passendsten symbolisierte.
Während Vassago zum drittenmal an dem Haus vorbeifuhr, erwog er, sofort zu seinem Versteck zu fahren und erst nach Sonnenuntergang zurückzukommen. Das gefiel ihm jedoch nicht besonders. Die Frau in so greifbarer Nähe zu wissen reizte ihn, erregte ihn maßlos, und er verabscheute den Gedanken, sich jetzt wieder von ihr trennen zu müssen. Sie steckte ihm bereits im Blut.
Er mußte ein Versteck in ihrer Nähe finden. Vielleicht ein heimliches Plätzchen in ihrem Haus. Einen Winkel, in den sie den ganzen garstigen, hellichten Tag lang garantiert nicht schauen würde.
Vassago parkte den Honda zwei Straßen weiter und ging zu Fuß im Schutz der Straßenbäume zu dem Haus zurück. Die Straße wurde von hohen
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