Das Versteck
Mutter aufwies. Sein Blick fiel auf seine rechte Hand, die ein riesiges, blutbeschmiertes Messer gepackt hielt. Er schlich sich näher an den Sessel heran. Sie merkte nichts. Als Hatch wollte er etwas rufen, sie warnen. Doch als Benutzer dieser Waffe, mit dessen Augen er dies alles sah, war er nur von dem Wunsch besessen, sie hinzuschlachten, ihr das Leben zu entreißen und seine Mission zu erfüllen, die ihn erlösen würde. Er trat hinter die Rückenlehne des Sessels. Die Frau hatte immer noch nichts bemerkt. Er riß das Messer hoch, stieß zu. Sie schrie. Er stieß wieder zu. Sie versuchte aufzustehen. Mit einer raschen Bewegung stellte er sich vor sie, und aus seiner Sicht glich es einem Kameraschwenk im Film, wenn das Gefühl des Fliegens vermittelt werden sollte. Das sanfte Gleiten eines Vogels oder einer Fledermaus. Er drückte die Frau in den Sessel zurück und stach weiter auf sie ein. Sie hob die Hände in Abwehr. Er stieß und stieß zu. Und nun, ein erneuter Kameraschwenk im Film, stand er wieder hinter ihr im Gang, nur war sie nicht mehr »Mutter«, sondern Lindsey, die in ihrem Atelier vor dem Zeichenbrett saß und vorsichtig die oberste Schublade ihrer Kommode aufzog. Sein Blick wanderte zum Fenster. Er erblickte sich selbst in der Spiegelung – bleiches Gesicht, dunkles Haar, Sonnenbrille – und wußte, daß Lindsey ihn entdeckt hatte. Sie wirbelte auf ihrem Hocker zu ihm herum, riß eine Pistole hoch und zielte genau auf sein Herz –»Hatch!«
Sein Name, der durchs Haus hallte, ließ die Vision zerspringen. Er schoß von seinem Schreibtisch hoch, und die Zeitschrift fiel zu Boden.
»Hatch!«
Mit einem Griff packte er im Dunkeln die Pistole und stürzte aus dem Zimmer. Während er die Halle durchquerte und, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinaufflog, hörte er Lindsey Reginas Namen rufen. Nicht das Mädchen, du lieber Gott, bitte nicht das Mädchen. Als er den Treppenabsatz erreichte und oben die Tür zuknallte, glaubte er zunächst, es sei ein Schuß gefallen. Letztlich war der Knall aber doch zu typisch, um mit einem Pistolenschuß verwechselt zu werden. Hatch blickte sich suchend um und sah gerade noch, wie Lindsey gegen Reginas Zimmertür prallte. Er wollte ihr zu Hilfe eilen, als sie bereits anfing, gegen die Tür zu treten, immer wieder dagegentrat, bis er sie beiseite schob. »Laß mich mal.«
»Nein! Er hat gesagt, weg von der Tür, oder ich bring' die Kleine um.«
Hatch starrte eine Sekunde lang wie benommen auf die Tür, fühlte sich buchstäblich geschüttelt von erzwungener Hilflosigkeit. Schließlich packte er den Türknauf und versuchte, ihn vorsichtig zu drehen. Die Tür war verriegelt. Hatch drückte die Pistole mit der Mündung an die Unterseite des Türknaufs.
»Hatch«, flehte Lindsey. »Er wird sie umbringen.«
Das Bild der jungen Blondine stieg in ihm auf, wie sie zweimal in die Brust getroffen wurde, wie sie rückwärts aus dem fahrenden Wagen fiel und auf die Fahrbahn stürzte, sich überschlug und immer weiter überkugelte, bis der Nebel sie verschluckt hatte. Und die Mutter, die von dem Fleischmesser getroffen wurde, die ihr Strickzeug fallen ließ und verzweifelt um ihr Leben kämpfte.
»Er wird sie so oder so töten, also dreh dich um«, sagte Hatch. Dann drückte er ab.
Holz und Blech zerbarsten in tausend Stücke. Hatch packte den Metallknauf, der ihm entgegenfiel, und warf ihn beiseite. Er stemmte sich gegen die Tür, doch sie gab nur wenige Zentimeter nach. Das billige Schloß war zerstört. Der Bolzen steckte noch in der Tür, nur klemmte von innen offenbar etwas dagegen. Hatch versuchte, den Bolzen mit aller Kraft wegzudrücken, aber er rührte sich nicht. Was immer von der anderen Seite untergekeilt war – vermutlich Reginas Schreibtischstuhl – hielt den Bolzen, wo er war.
Hatch packte die Pistole am Lauf und benutzte den Knauf als Hammer. Unter lautem Fluchen schlug er auf den Bolzen ein und trieb ihn Zentimeter um Zentimeter aus der Halterung.
Gerade als er sich endlich löste und auf der anderen Seite zu Boden fiel, wurde Hatch erneut von blitzartigen Visionen heimgesucht, die die augenblickliche Wahrnehmung überlagerten. Sie stammten alle aus der Sicht des Killers: ein merkwürdiger Blickwinkel, ein Blick, der über eine Hauswand, dieses Hauses, unterhalb Reginas Zimmer, wanderte. Das offene Fenster. Unter dem Fenstersims ein Rankengewirr von Spalierwein. Eine hornähnliche Blüte im Gesicht. Spalierwerk unter den Händen,
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