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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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auf der linken Seite gespalten, wie er das nach dem Unfall sein würde. Er rief zu Lindsey und Joey herüber, aber die krächzende Stimme gehörte nicht Jack Winslow, sondern einem Wesen auf Urlaub vom Friedhof, mit Stimmbändern, die zu trockenen Schnüren verdorrt waren: »Was für eine Nacht! O Mann, was für eine tolle Nacht!«
    Lindsey erschauderte, aber nicht nur wegen des eisigen Windes, der durch die teilweise offenen Hubschraubertüren heulte.
    Der Arzt, dessen Gesicht immer noch im Schatten lag, wollte gerade ihren Blutdruck messen. Ihr linker Arm befand sich nicht mehr unter der Decke. Die Ärmel ihres Sweaters und ihrer Bluse waren aufgeschnitten worden, so daß ihre nackte Haut zum Vorschein kam. Die Manschette des Sphygmomanometers wurde fest um ihren Oberarm gewickelt und mit Klettbändern geschlossen.
    Sie schlotterte jetzt so heftig, daß der Arzt offenbar dachte, es könnte sich um Konvulsionen handeln. Er nahm einen kleinen Gummikeil von einem Tablett und wollte ihn ihr in den Mund schieben, damit sie sich nicht auf die Zunge beißen oder daran ersticken konnte.
    Sie stieß seine Hand weg, »Ich werde sterben.«
    Erleichtert darüber, daß sie doch nicht unter Krämpfen litt, sagte er: »Nein, so schlimm ist es nicht, es wird Ihnen bald wieder gutgehen.«
    Er verstand nicht, was sie meinte. Ungeduldig erklärte sie: »Wir alle werden sterben.«
    Das war die Bedeutung ihrer traumverzerrten Erinnerungen. Der Tod war bei ihr seit dem Tag ihrer Geburt, stets an ihrer Seite, ihr ständiger Begleiter. Bis zu Jimmys Tod vor fünf Jahren hatte sie das nicht begriffen und hatte es bis heute nacht, als der Tod ihr Hatch nahm, nicht akzeptiert .
    Ihr Herz schien sich wie eine Faust in ihrer Brust zusammenzuballen. Ein neuer Schmerz durchdrang sie, anders als ihre zahlreichen körperlichen Beschwerden, viel schlimmer. Trotz Schock, Delirium und Erschöpfung, die ihr als Schutzschilde gegen die Schrecken der Realität gedient hatten, war die Wahrheit schließlich zu ihr durchgedrungen, und sie war ihr hilflos ausgesetzt, mußte sie akzeptieren.
    Hatch war ertrunken.
    Hatch war tot. Die Wiederbelebung war erfolglos geblieben. Hatch war für immer von ihr gegangen.
    … sie war fünfundzwanzig Jahre alt und saß, auf Kissen gestützt, in einem Bett der Entbindungsstation des St. Joseph's Hospital. Die Schwester brachte ihr ein kleines, in eine Decke gehülltes Bündel, ihr Baby, ihren Sohn, James Eugene Harrison, den sie neun Monate in sich getragen hatte, ohne ihn zu kennen, den sie von ganzem Herzen liebte, aber noch nie gesehen hatte. Die lächelnde Schwester legte das Bündel sanft in ihre Arme, und Lindsey schob zärtlich die mit Satin gesäumte Kante der blauen Baumwolldecke beiseite. Sie sah, daß sie ein winziges Skelett mit leeren Augenhöhlen an ihre Brust drückte, daß die zarten Fingerknochen sich zur typische kontaktsuchenden Geste eines hilflosen Kleinkindes bogen. Jimmy hatte schon vor der Geburt den Tod in sich getragen, wie jedes Lebewesen, und nicht einmal fünf Jahre später würde der Krebs ihn zurückfordern. Der kleine Knochenmund des Skelett-Kindes öffnete sich zu einem langgezogenen stillen Schrei …
5
    Lindsey konnte hören, wie die Propellerflügel die Nachtluft durchschnitten, aber sie befand sich nicht mehr im Helikopter. Sie wurde über einen Parkplatz gerollt, auf ein großes Gebäude mit vielen hell erleuchteten Fenstern zu. Ihr war bewußt, daß sie eigentlich wissen müßte, was das war, aber sie konnte nicht klar denken, und im Grunde war ihr auch völlig egal, was es war, wohin man sie brachte und wozu.
    Vor ihr flogen die Flügel einer Schwingtür auf, und dahinter lag ein in warmes gelbes Licht getauchter Raum, durch den die Silhouetten von Männern und Frauen huschten. Dann war Lindsey von diesem Licht und den Silhouetten umgeben … ein langer Korridor … ein Zimmer, in dem es nach Alkohol und anderen Desinfektionsmitteln roch … aus den Silhouetten wurden Menschen mit Gesichtern … weitere Gesichter tauchten auf … leise, eindringliche Stimmen … Hände griffen nach ihr, legten sie auf ein Bett … kippten es ein wenig, so daß ihr Kopf tiefer lag als ihr Körper … rhythmisches Piepsen und Klicken irgendwelcher elektronischer Geräte …
    Sie wünschte, all diese Leute würden einfach weggehen und sie alleinlassen, in Frieden lassen. Alle Lampen ausschalten und weggehen. Sie im Dunkeln zurücklassen. Sie sehnte sich nach Ruhe, Stille, Frieden.
    Ein widerlicher

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