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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Diese Welt und die andere denken, das sie im vergangenen Jahr gemalt hatte, denn die Hauptfigur dieses Werkes war ein Drahtseilakrobat im Zirkus, der von einer plötzlichen Unsicherheit befallen wurde. Und im Augenblick war das Bewußtsein jenes Drahtseil in luftiger Höhe, auf dem sie sich nur mit größter Mühe halten konnte. Jeder Versuch, mehr als ein oder zwei Worte mit den Ärzten zu wechseln, könnte sie endgültig aus dem Gleichgewicht bringen und zu einem tiefen Sturz ins Dunkel führen.
    Dem größten Teil dessen, was die Männer sagten, konnte ihr benebeltes Gehirn keinen Sinn abgewinnen, aber sie verstand immerhin, daß sie an starker Unterkühlung und möglicherweise an Erfrierungen litt, daß die Ärzte in Sorge um sie waren. Zu niedriger Blutdruck. Herzschlag langsam und unregelmäßig. Langsame und flache Atmung.
    Vielleicht war jene Flucht doch noch möglich. Wenn es wirklich das war, was sie wollte.
    Sie war unentschieden. Wenn sie sich in ihrem Unterbewußtsein seit Jimmys Begräbnis tatsächlich nach dem Tod gesehnt hatte, so verspürte sie jetzt kein direktes Bedürfnis danach – aber der Gedanke hatte auch nichts besonders Erschreckendes an sich. Sie ergab sich einfach in ihr Schicksal, und es war ihr in ihrem gegenwärtigen Zustand ziemlich egal, wie dieses Schicksal aussehen würde, denn ihre Gefühle waren genauso betäubt wie ihre fünf Sinne. Hypothermie – starke Unterkühlung – hatte eine ebenso narkotisierende Wirkung wie beispielsweise ein Saufgelage; beides konnte jeden Überlebensinstinkt völlig lahmlegen.
    Dann fiel ihr Blick zwischen den beiden leise miteinander redenden Ärzten hindurch auf Hatch, und abrupt wurde sie aus ihrer Halb-Trance herausgerissen. Seine Blässe war erschreckend. Er war nicht einfach weiß im Gesicht. Es war eine ungesunde Blässe mit sehr viel Grau darin. Seine Augen waren geschlossen, der Mund war leicht geöffnet, und er sah insgesamt so aus, als hätte sich ein Buschfeuer durch seinen Körper gefressen, hätte zwischen Knochen und Haut das ganze Fleisch verbrannt und nur eine Aschenschicht übriggelassen.
    »Bitte«, sagte sie, »mein Mann …« Sie war überrascht, wie leise, rauh und krächzend sich ihre Stimme anhörte.
    »Sie zuerst«, erwiderte O'Malley.
    »Nein. Hatch. Hatch … braucht … Hilfe.«
    »Sie zuerst«, wiederholte O'Malley.
    Seine Beharrlichkeit beruhigte sie ein wenig. Obwohl Hatch so miserabel aussah, ging es ihm offenbar nicht schlecht. Die künstliche Beatmung mußte wohl erfolgreich gewesen sein, und er war in besserer Verfassung als sie selber, sonst würden die Ärzte sich doch zuerst um ihn kümmern. Oder etwa nicht?
    Ihre Gedanken verwirrten sich wieder. Die Anspannung ließ nach. Sie schloß die Augen.
2
    Später …
    In ihrer Benommenheit wirkten die murmelnden Stimmen der Ärzte auf Lindsey ähnlich einlullend – wenn auch nicht ganz so melodisch – wie ein Wiegenlied. Was sie trotzdem wach hielt, war das immer schmerzhaftere Brennen in ihren Gliedern und das resolute Herumhantieren der Mediziner, die kleine kissenartige Gegenstände gegen ihre Seiten preßten. Was für Dinger das auch sein mochten – elektrische oder chemische Heizkissen, nahm sie an –, sie strahlten jedenfalls eine angenehm sanfte Wärme aus, die sich erheblich von dem Feuer in ihren Füßen und Händen unterschied.
    »Hatch … braucht … auch Wärme«, brachte sie undeutlich hervor.
    »Ihm geht es gut, machen Sie sich um ihn keine Sorgen«, sagte Epstein. Sein Atem bildete beim Sprechen kleine weiße Wolken.
    »Aber ihm ist bestimmt kalt.«
    »Er soll auch kalt sein. So wollen wir ihn haben.«
    »Aber nicht zu kalt, Jerry«, mischte sich O'Malley ein. »Nyebern will kein Gefrierfleisch. Wenn sich im Gewebe Eiskristalle bilden, kann das zu Gehirnschäden führen.«
    Epstein rief dem Fahrer durch das halb geöffnete Fenster in der Trennwand zu: »He, Mike, schalt vielleicht mal ein bißchen die Heizung ein.«
    Lindsey fragte sich, wer Nyebern sein mochte, und sie war beunruhigt über das Wort »Gehirnschäden«. Aber sie war viel zu müde, um sich zu konzentrieren und noch zu verstehen, was sie sagten.
    Ihr Geist schweifte zu Erinnerungen aus der Kindheit ab, aber die waren so seltsam, so verzerrt, daß sie offenbar in einen Halbschlaf gesunken war, wo ihr Unterbewußtsein mit den Erinnerungen alptraumhafte Zaubertricks anstellen konnte.
    … sie sah sich als Fünfjährige auf einer Wiese hinter ihrem Elternhaus spielen. Das leicht hügelige

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