Das Versteck
auf dem Asphalt des Motelparkplatzes lag, sondern auf einem Stuhl saß, und zum erstenmal verspürte er Angst.
Er saß nicht einfach auf dem Stuhl – er war daran gefesselt. Stricke um Brust und Taille, weitere Stricke um die Oberschenkel. Und seine Arme waren an die Stuhllehnen gebunden, unterhalb der Ellbogen und an den Handgelenken.
Die Schmerzen hatten sein Denkvermögen getrübt. Die Angst zerriß schlagartig diese Umnebelung.
Er versuchte, sein geschwollenes linkes Auge möglichst weit zu öffnen, kniff gleichzeitig das unverletzte rechte Auge zusammen und spähte in die Dunkelheit. Einen Moment lang glaubte er, in einem Zimmer des Blue Skies Motel zu sein, vor dem er gewartet hatte, um dem Jungen auf die Spur zu kommen. Dann erkannte er aber sein eigenes Wohnzimmer. Er konnte nicht viel sehen, weil nirgends Licht brannte, aber nachdem er seit achtzehn Jahren in diesem Haus lebte, erkannte er die Muster der nächtlichen Lichtquellen an den Fenstern, die Umrisse der Möbel, die sich als dunklere Schatten von den übrigen Schatten im Raum abhoben, und den subtilen, aber einzigartigen Geruch seines Heimes, der für ihn genauso unverwechselbar war wie der Geruch eines ganz speziellen Baus für einen Wolf in der Wildnis.
Er fühlte sich an diesem Abend allerdings nicht wie ein Wolf. Eher wie ein Kaninchen, das am ganzen Leibe zittert, weil es spürt, daß es dem Wolf zur Beute fallen wird.
Einige Sekunden lang glaubte er allein zu sein und begann an seinen Fesseln zu zerren. Dann löste sich ein Schatten von all den anderen Schatten und kam auf ihn zu.
Er konnte von seinem Gegner nur die Silhouette erkennen, und sogar sie schien mit den Silhouetten von Gegenständen zu verschmelzen oder sich ständig zu verändern, so als wäre der Junge ein polymorphes Wesen, das verschiedene Formen annehmen konnte. Aber er wußte sofort, daß es der Junge war, weil er jenen Unterschied spürte, jene Fremdartigkeit, die er sofort wahrgenommen hatte, als er den Bastard am Sonntag zum erstenmal zu Gesicht bekommen hatte, vor vier Tagen, im Blue Skies .
»Sitzen Sie bequem, Mr. Redlow?«
Während der drei Monate, die Redlow nun schon nach dem Kerl suchte, war er immer neugieriger auf ihn geworden und hatte sich vorzustellen versucht, was der Junge wollte, was er brauchte, was er dachte. Nachdem er unzähligen Leuten verschiedene Fotos von ihm gezeigt und sie selbst immer wieder lange betrachtet hatte, war er besonders neugierig auf die Stimme gewesen, die zu diesem erstaunlich attraktiven, aber gefährlichen Gesicht gehörte. Sie hörte sich nicht im entferntesten so an, wie er es sich vorgestellt hatte, weder kalt und stählern wie die Stimme einer auf Mensch getrimmten Maschine, noch guttural und wild wie das Knurren eines Raubtiers. Vielmehr war sie beruhigend, melodisch, mit einem angenehmen klangvollen Timbre.
»Mr. Redlow, Sir, können Sie mich hören?«
Mehr als alles andere brachte die Höflichkeit des Jungen und seine gepflegte Ausdrucksweise Redlow aus der Fassung.
»Ich möchte mich dafür entschuldigen, daß ich so grob mit Ihnen umgesprungen bin, Sir, aber Sie haben mir keine andere Wahl gelassen.«
Nichts deutete darauf hin, daß der Junge sich über ihn lustig machen wollte. Er hatte einfach eine gute Erziehung genossen. Man hatte ihm beigebracht, im Gespräch mit Älteren Respekt und Rücksichtnahme zu zeigen, und diese Gewohnheit konnte er nicht einmal unter den jetzigen Umständen ablegen. Der Detektiv hatte plötzlich das primitive, abergläubische Gefühl, sich in der Gesellschaft eines Wesens zu befinden, das Menschlichkeit zwar imitieren konnte, mit der Spezies Mensch aber absolut nichts gemeinsam hatte.
Wegen seiner aufgeplatzten Lippen konnte Redlow nur undeutlich sprechen. »Wer sind Sie?« fragte er. »Was zum Teufel wollen Sie von mir?«
»Sie wissen genau, wer ich bin.«
»Verdammt, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie haben mich total überrumpelt. Ich habe Ihr Gesicht nicht gesehen. Sind Sie eigentlich so was wie eine Fledermaus? Warum machen Sie kein Licht an?«
Immer noch nur ein schwarzer Schatten, kam der Junge näher, bis er etwa einen Meter vom Stuhl entfernt war. »Sie sind engagiert worden, um mich zu finden.«
»Ich bin engagiert worden, um einen Burschen namens Kirkaby zu beschatten. Leonard Kirkaby. Seine Frau glaubt, daß er sie betrügt. Und das tut er auch. Jeden Donnerstag bumst er seine Sekretärin im Blue Skies Motel .«
»Nun, Sir, es fällt mir ein bißchen schwer,
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