Das Versteck
Wochenende war ruhig verlaufen. Und der nun zu Ende gehende Tag war herrlich gewesen: Reginas Einzug hatte ihn aufgemuntert und in beste Laune versetzt. Dann hatte er den Zeitungsartikel über Cooper gelesen und die Kontrolle über sich verloren.
Er hatte Lindsey nichts von dem Bild des Unbekannten im Spiegel erzählt. Diesmal konnte er sich nicht mit dem Gedanken trösten, daß er im Schlaf gewandelt war, halb wach, halb träumend. Nein, er war hellwach gewesen, und das bedeutete, daß das Bild im Spiegel eine Halluzination sein mußte. Ein gesundes, unbeschädigtes Gehirn produzierte keine Halluzinationen. Er hatte Lindsey nichts davon erzählt, weil er sie nicht vorzeitig in Angst und Schrecken versetzen wollte. Es würde noch schlimm genug für sie sein, wenn erst die restlichen Testergebnisse vorlagen.
Weil er nicht einschlafen konnte, begann er wieder über den Zeitungsartikel nachzudenken, obwohl er es im Grunde gar nicht wollte. Er versuchte, seine Gedanken von William Cooper abzulenken, kehrte aber immer wieder zu diesem Thema zurück – so wie man einen schmerzenden Zahn immer wieder mit der Zunge abtastet. Es kam ihm fast so vor, als würde er gezwungen, über den Fahrer nachzudenken, als zöge ein riesiger innerer Magnet seine Aufmerksamkeit unerbittlich in diese Richtung. Bald stellte er bestürzt fest, daß erneut Ärger in ihm aufstieg. Und dann, von einer Sekunde zur anderen, eskalierte der Ärger zu solcher Wut und solcher Gewaltbereitschaft, daß er die Fäuste ballen und die Zähne zusammenbeißen und seinen ganzen Willen anspannen mußte, um nicht einen Wutschrei auszustoßen.
Durch einen Blick auf die Hausbriefkästen am Haupteingang zur Wohnanlage Palm Court erfuhr Vassago, daß William Cooper Apartment 28 bewohnte. Durch den Verbindungsgang gelangte er zum Innenhof mit Palmen, Gummibäumen, Farnen und – was ihm besonders mißfiel – vielen Lichtern. Er stieg eine Außentreppe zu dem überdachten Balkon der Wohnungen im ersten Stock empor.
Niemand war zu sehen. Palm Court war ruhig, friedlich.
Obwohl es einige Minuten nach Mitternacht war, brannte in Coopers Apartment noch Licht. Vassago konnte einen leise gestellten Fernseher hören.
Am Fenster rechts der Tür war die Jalousie heruntergelassen, aber die Lamellen waren schräg gestellt, so daß er eine Küche sehen konnte, in der nur das schwache Licht an der Dunstabzugshaube brannte.
Ein größeres Fenster links der Tür gehörte zum Wohnzimmer. Die Vorhänge waren nicht ganz geschlossen. Durch den Spalt sah Vassago einen Mann, der in einem großen Fernsehsessel mit hochgeklapptem Fußteil lag. Sein Kopf war zur Seite gesunken, sein Gesicht dem Fenster zugewandt. Er schien zu schlafen. Auf einem Beistelltisch neben dem Sessel stand ein Glas mit einem Rest goldfarbener Flüssigkeit neben einer halbleeren Flasche Jack Daniel's. Eine Tüte Käsegebäck war vom Tisch gefallen, und ein Teil des orangefarbenen Inhalts war auf dem gallengrünen Teppich verstreut.
Vassago blickte nach rechts und links. Der Balkon war leer, auch der auf der anderen Seite des Innenhofs.
Er versuchte Coopers Wohnzimmerfenster aufzuschieben, aber es war entweder abgeschlossen, oder aber es klemmte. Auf dem Weg zum Küchenfenster drückte er versuchsweise auf die Türklinke, ohne sich große Hoffnungen zu machen. Die Tür war nicht verschlossen. Er drückte sie auf, betrat das Zimmer und schloß hinter sich ab.
Der Mann im Fernsehsessel, vermutlich Cooper, bewegte sich nicht, als Vassago die Vorhänge am großen Fenster vollends zuzog. Wenn auf dem Balkon jemand vorbeiging, würde er nichts sehen können.
Er wußte bereits, daß die Küche, die Eßecke und das Wohnzimmer leer waren. Nun inspizierte er noch, lautlos wie eine Katze, das Bad und die beiden Schlafzimmer (eines davon war unmöbliert und wurde offenbar als Rumpelkammer benutzt). Der Mann im Fernsehsessel war allein in der Wohnung.
Auf der Kommode im Schlafzimmer fand Vassago eine Brieftasche und einen Schlüsselbund. Die Brieftasche enthielt 58 Dollar, die er an sich nahm, und einen Führerschein auf den Namen William X. Cooper. Das Foto zeigte eindeutig den Mann im Wohnzimmer, nur einige Jahre jünger und natürlich nicht sinnlos betrunken.
Vassago kehrte mit der Absicht ins Wohnzimmer zurück, Cooper zu wecken und ein kurzes informatives Gespräch mit ihm zu führen. Wer ist Lindsey? Wo wohnt sie?
Doch als er sich dem Fernsehsessel näherte, schoß heißer Zorn wie ein Stromstoß durch ihn
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