Das versteckte Experiment (German Edition)
Bezugssystem gelebt. Selbstverständlich hat auch Alf nichts Besonderes bemerkt. Für ihn ist die Zeit ebenso wie für Otto ganz ‚normal‘ verlaufen. Beim Wiedersehen fällt ihm natürlich sofort auf, dass sein Bruder wesentlich mehr gealtert ist als er.
Die Bezeichnung Zwillingsparadoxon ist eigentlich irreführend. Es handelt sich gar nicht um ein Paradoxon. Es ist Physik. Es erscheint uns nur paradox, weil das Phänomen in unserer normalen Erlebniswelt nicht vorkommt. Übrigens sind die Berechnungen für unser Beispiel sehr einfach. Du kannst sie mit einem Taschenrechner durchführen.“
„Irgendetwas stimmt nicht. Wenn sich Otto und Alf in einem Inertialsystem befinden, so könnte auch Alf behaupten, dass sich Otto mit der Erde von ihm fortbewegte und wieder zurückkäme. Dann wäre für Otto die Zeit langsamer vergangen und dieser wäre beim Treffen der Jüngere. Das wäre dann tatsächlich paradox, denn beides zusammen kann ja nicht stimmen.“
„Du hast recht. Während der Reise mit gleichförmiger Geschwindigkeit kann jeder von ihnen behaupten, dass für den anderen die Zeit langsamer verginge. Das ist tatsächlich symmetrisch. In Wirklichkeit verlässt Alf aber während der Beschleunigungsphase das Inertialsystem (Inertialsysteme sind Bezugssysteme mit gleichbleibender Geschwindigkeit). Nach der Beschleunigungsphase fliegt Alf zwar wieder mit gleichförmiger Geschwindigkeit, aber die Beschleunigungen während des Starts und vor der Landung sind der Grund dafür, dass das Phänomen nicht symmetrisch ist. Während Alfs Beschleunigung müssen wir die Allgemeine Relativitätstheorie hinzuziehen. Mit ihr lässt sich zeigen, dass Alf nach der Rückkehr der Jüngere ist.“
„Treten diese Effekte nur bei hohen Geschwindigkeiten auf?“, wollte Jan jetzt wissen.
„Nein, alle beschriebenen Effekte treten bei jeder Geschwindigkeit auf. Nur sind sie bei den geringen Geschwindigkeiten, die im täglichen Leben vorkommen, von uns nicht beobachtbar. Wenn du mit dem Auto fährst, vergeht für dich die Zeit langsamer als für einen Fußgänger. Bei der Fahrgeschwindigkeit, die ein Auto erreicht, ist die Veränderung jedoch so gering, dass sie nicht einmal mit empfindlichen Messgeräten gemessen werden könnte. 1971 gelang Hafele und Keating der Nachweis der Zeitdilatation jedoch, indem sie sehr genau gehende Atomuhren in Flugzeugen installierten und mit einer Atomuhr auf der Erde verglichen. Es zeigten sich tatsächlich die von der Relativitätstheorie vorausgesagten Zeitunterschiede.“
„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Erde aber kein Inertialsystem.“
„Das ist wahr. Die Erde rotiert um ihre Achse, und rotierende Systeme sind keine Inertialsysteme. Man kann das aber berücksichtigen. Das macht den rechnerischen Aufwand etwas größer.“
„Die gemessenen Zeitunterschiede sind sicher trotz der höheren Geschwindigkeit der Flugzeuge sehr gering gewesen.“
„Ja, die Unterschiede lagen unter einer Mikrosekunde. Gerade, weil die Veränderungen in der Zeit, der Länge und Masse im alltäglichen Leben nicht zu beobachten sind, ist Albert Einsteins Leistung besonders hoch einzuschätzen. Zudem widersprach seine Theorie noch der klassischen Physik von damals. So richtig konnte er sich mit seiner Speziellen Relativitätstheorie, wie er die Theorie nannte, erst durchsetzen, nachdem die ersten experimentellen Nachweise gelungen waren.“
„Neben der Speziellen Relativitätstheorie hast du die Allgemeine Relativitätstheorie erwähnt. Was ist der Unterschied?“
„Für Einstein war es nicht befriedigend, dass seine Theorie die Annahme von Inertialsystemen voraussetzte, also gleichförmig, geradlinig bewegten Systemen. In seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gelang es ihm, seine Formeln so zu verallgemeinern, dass sie für beliebig bewegte Systeme gelten. Dazu musste er die Gravitation (Schwerkraft) mit in seine Theorie einbeziehen. Er konnte unter anderem zeigen, dass Gravitation nichts anderes ist als eine Krümmung des Raumes. Einige Jahre nach der Veröffentlichung seiner Ergebnisse wurden seine Aussagen sogar experimentell bestätigt. Übrigens spielte auch bei dem Versuch von Hafele und Keating die Allgemeine Relativitätstheorie eine Rolle. Auf die Uhren im Flugzeug und auf der Erde wirkte eine unterschiedliche Gravitation. Die gemessenen Zeitdifferenzen wurden also sowohl durch die Geschwindigkeit als auch durch die Gravitationsunterschiede beeinflusst.“
„Ich muss jetzt langsam
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