Das vertauschte Gesicht
alles Mögliche weismachen. Und manchmal schien ihm nichts zu entgehen, nicht das kleinste Detail.
Nein. Hier hatten sie es besser, jedenfalls für die erste Zeit, wenn das Kind... Sie unterbrach sich für einen Augenblick in ihren Gedanken, wollte nicht zu sehr daran denken, bevor... bevor etwas mehr Zeit vergangen war. Bevor wir eingezogen sind, dachte sie. Zusammengezogen sind. Ich wohne hier ja noch gar nicht richtig. Ich geh nach der Arbeit nur hierher, weil es ein gutes Gefühl ist. Um mich einzuleben.
Sie machte sich eine Tasse Tee, saß am Küchentisch und lauschte auf den Regen. Dann stand sie auf und ging ins Wohnzimmer und kehrte zurück, nachdem Springsteen schon eine halbe Minute lang von dem Preis gesungen hatte, den man für seine Taten zahlen muss. Angela strich sich langsam über den Bauch. You make up your mind, you choose the chance you take. Springsteen trug die Verletzlichkeit der Menschen auf seinen Schultern. Neuerdings hörte Erik Springsteen. Natürlich nur die schwermütigen Songs. Aber immerhin. Nicht nur ihretwegen. Wer akzeptierte, weiter zu wachsen, mit dem geschieht ständig etwas. Coltrane war immer noch da, hatte aber ein wenig Platz machen müssen. Erik kannte jetzt zwei Namen der modernen Musikgeschichte. The Clash und Bruce Springsteen. Das würde lange reichen. Wir haben noch etwas dazubekommen, was uns verbindet, dachte sie und strich sich wieder über den Bauch.
Habe ich Angst? Nein. Hat er Angst? Vielleicht. Wird er es aussprechen? Er redet mehr und mehr. In einigen Monaten wird er vierzig, und er lernt langsam zu reden. Das ist früh für einen Mann.
Der Kühlschrank surrte leise. Sie stand im Licht vor der geöffneten Tür. Die Dämmerung in der Küche hatte sich rasch zu Dunkelheit verdichtet. Sie hatte geglaubt, es sei noch Käse da, aber nicht mal die Margarine reichte bis morgen. Plötzlich hatte sie Appetit auf Sardellen. Das war ein Beispiel von Gelüsten, davon hatte sie gelesen oder gehört, aber nie selbst derartige Anwandlungen gehabt. Klar. Sardellen passten nicht zu dem Mistwetter, aber sie konnten zur Schwangerschaft passen. Genau wie mit Schokolade überzogene Kalbssülze und andere Mythen über die Schwangerschaft. Spaghetti mit Karamellsoße.
Sardellen. Käse. Margarine. Vielleicht die neue Femina. Sie hatte das Abonnement vor dem Umzug gekündigt, vermisste die Zeitschrift jetzt aber in der Post, hier und zu... nein, nicht zu Hause, ein paar Wochen nur blieben die Möbel dort noch stehen, das war alles. Clean break.
Was für Umstände! Jetzt fing sie auch noch an, sich genauso sehr nach der Femina zu sehnen wie nach einer Büchse Sardellen, die lieblich von Zuckerkristallen überzogen waren! Sie sah aus dem Fenster, die Scheiben waren gestreift vom Regen. Die Straßenbeleuchtung war angegangen, schaffte es aber kaum, die Dunkelheit zu durchdringen. Sie seufzte, hörte es selbst. Schloss die Kühlschranktür, ging in den Flur und zog Stiefel und Regenmantel wieder an. Der Schirm, den sie am Morgen schon vermisst hatte, war immer noch verschwunden.
Der Fahrstuhl war gerade unten, und sie nahm die Treppe. Ihre Schritte hallten wider im Treppenhaus, ein tieferer Ton als der, den sie täglich von zu Hau... in Kungshöjd gewohnt war.
Sie ging die Vasagatan entlang zu Bogös Livs. Es hatte fast aufgehört zu regnen, jetzt tropfte es nur noch von den Dachrinnen. Sie drückte sich eng an die Häuserwände und hörte einen Automotor hinter sich. Nach einer Minute war das Geräusch immer noch hinter ihr, und sie drehte sich um und sah einen Streifenwagen, der langsam hinter ihr herfuhr. Sie wandte sich wieder nach vorn und ging weiter, doch das Auto folgte ihr weiter, unverändert langsam. Sie drehte sich wieder um und versuchte den Fahrer zu erkennen, sah aber nur eine Silhouette hinterm Lenkrad.
Fahndeten sie hier nach etwas? Warum fuhr das Auto so langsam - hinter ihr her? Plötzlich blendete der Fahrer die Scheinwerfer auf und bog an der Kreuzung nach links ab und fuhr zurück zum Vasaplatsen. Sie schaute sich um, ob sie einen anderen Streifenwagen in der Nähe entdecken konnte, sah aber keinen.
Sie ging in den kleinen Supermarkt, und als sie auf dem Rückweg eine Femina am Tabaktresen kaufte, schnappte sie sich noch eine Tüte Karamellschnüre.
Spagetti mit Karamellgeschmack. Der Mythos wurde Wirklichkeit.
Es hatte wieder angefangen zu regnen, und jetzt spielte es keine Rolle mehr, wo sie ging. Als sie an der Haustür den Code eintippte, sah sie aus dem
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